Das Gebrüder-Wright-Prinzip

Muss man erst einmal bevor wenn man die Welt verändern will etwas ganz anderes machen?

Die Gebrüder Wright stehen am Anfang der Luftfahrt. Und das nicht nur wegen des ersten Fluges eines Schwerer-als-Luft-Flugzeuges. Fast noch wichtiger war es, dass sie mit der 3-Achsen-Steuerung allen zukünftigen Piloten die Möglichkeit gaben zu bestimmen, wo sie hinfliegen wollten.

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Aber sie begannen ihren Weg nicht mit dem Flugzeug, denn wer hätte schon über Jahre von etwas leben können, was es noch gar nicht gab? Schlimmer noch: was es in der Vorstellung der meisten Leute überhaupt nicht gab!

Die Gebrüder Wright besaßen eine Fahrradfabrik, die aus einer Reparaturwerkstatt für Fahrräder entstanden war. Etwas wortwörtlich Bodenständiges. Diese Fabrik begründeten sie inmitten eines Fahrradbooms in den USA, mit sicheren Absatzmärkten. Eine Fahrradfabrik zu betreiben bedeutet hier, einen Zeitpunkt der S-Kurve nutzen, zu dem das entsprechende Produkt schon fest etabliert ist, statt sich den Stress zu machen, ganz am Anfang des langen Anlaufs der S-Kurve etwas Neues zu tun. Mit dem Effekt, dass die Gebrüder dadurch permanent Geld generierten, mit dem sie das betreiben konnten, was sie eigentlich unternehmen wollten, was aber zu diesem Zeitpunkt völlig aberwitzig war, im ökonomischen Kontext der Zeit „sinnfrei“.

Das ist das „Gebrüder-Wright-Prinzip“: mit etwas Etabliertem Geld verdienen, um in der übrigen Zeit von jeglicher Kritik und Verantwortung frei zu tun, was man für richtig hält. Selbst wenn das sonst keiner tut.

Klar mag man sich jetzt vorstellen, dass Fahrräder und Flugzeuge etwas miteinander zu tun haben, die Gebiete sind also doch nicht völlig unabhängig. Es sind schließlich beides mechanische Tätigkeiten. Aber es dreht sich um die Spielregeln, nach denen man arbeitet. Fahrräder waren eben angesagt und deshalb konnte man damit Geld verdienen. Flugzeuge hingegen waren der nächste Schritt in der Menschheitsentwicklung, ein Bruch mit den Spielregeln. Sie waren, was der russische Kosmist Nikolai Fjodorow  die „Umorientierung von horizontal zu vertikal“ nannte: von Kanonen zu Mondraketen, von Fahrrädern zu Flugzeugen.

Das Gebrüder-Wright-Prinzip passt zu Investmenttipps, die dynamische Systeme betrachten: Play safe für die Basisstruktur, mit etwas Langweiligem, was sicher Geld generiert. Und mit einem kleinen Anteil durchknallen. Aber dann völlig. Auf die fundamentalen, explosiven Durchbrüche setzen. Die eine Seite finanziert die andere. Und die andere Seite hebt das System in die Vertikale.

Mit diesem Hintergrund können wir auch erkennen, welche Dinge tiefgreifende Innovation behindern wie z.B.:

  • Regeln, dass jedes Projekt aus sich heraus rentabel sein muss. Und zwar direkt.
  • Steuervorschriften, bei denen man Verluste aus einer Aktivität nicht mit einer anderen gegenrechnen kann.
  • Unternehmen, bei denen zu schlanke Strukturen bewirken, dass es keine Schutzzonen für neue Vorstellungen gibt.

In so einem Umfeld bleibt einem nichts übrig, als wie die Gebrüder Wright das Unternehmen selbst zu gründen.  Und es ist erneut eine Steilflanke für die Dilettanten, die DIYer, die Amateure, die ausschließlich nach ihren eigenen Vorstellungen in ihren Freiräumen etwas beginnen, was in einem normalen ökonomischen Kontext nicht tragbar wäre. Und deshalb im Moment die Welt von Open Source und 3D-Druck mit Ansätzen füllen, die bisher unvorstellbar waren. Dilettanten,  die etwas tun können, was im alten System „sinnfrei“ ist.

Vielleicht müssen sie aber vorher das Äquivalent einer Fahrradfabrik gründen …

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