Urbanisierung – Der zweite Blick

Image„Move to the city“: Das ist das erste, was der Held im Buch „How to get filthy rich in rising Asia“ (sinngemäß: Wie man im aufstrebenden Asien schweinereich wird) des pakistanischen Autors Mohsin Hamid unternimmt, um die Verheißung des Buchtitels zu erfüllen. Und gerade dass in Asien Millionenstädte im Wochentakt gebaut werden, verstärkt unseren Glauben in den Megatrend Urbanisierung.

Nur werde ich von Berufs wegen skeptisch, wenn sich alle zu sicher sind. Wachsende Urbanisierung und die dazu passenden Voraussagen von „Im Jahre X werden Y% (in jedem Fall eine enorm hohe Zahl) der Weltbevölkerung in Städten leben“ nehmen in den Medien schon den verlässlichen Status von Naturgesetzen an. Aber selbst wenn es paradoxerweise ökologische Gründe geben könnte, sich Verstädterung zu wünschen – wie der US-Umweltaktivist Bill McKibben nachdenklich darlegte – stellt sich die Frage, ob das wirklich so sicher die Zukunft ist.

Zum einen gibt es deutliche Gegentrends. Das Magazin „Landlust“ stürmt von Auflagenrekord zu Auflagenrekord. Das könnte man jetzt noch als romantische Verklärung und Wunschdenken interpretieren, ähnlich wie die Mittelalterverklärung im 19. Jahrhundert als Gegenreaktion auf die Industrialisierung. Zumal Landlust ja nur bedingt davon handelt, tatsächlich auf dem Land zu leben …

Zum anderen aber sind einige der Existenzgründe für Städte dabei, wegzufallen. Städte entwickelten sich in der menschlichen Geschichte zuerst als Märkte und dann als Basis der Industrie und damit als Arbeitsplatzalternative zur Landwirtschaft. Die Produktion wurde in der Stadt zusammengezogen und damit mussten die Menschen auch dahin ziehen. Aber dieser Treiber wird in einer Welt, die zunehmend digitale Produkte und Services produziert obsolet. Und die übriggebliebenen materiellen Dinge erzeugen wir schon bald im 3D-Drucker vor Ort und leben in einem Nullenergiehaus mit dezentraler Energieversorgung.

Der zweite Treiber der Stadtentwicklung war kultureller Natur. In Städten wurden Ideen ausgetauscht, Verschiedenheit traf aufeinander. Und damit entstanden die neuen Ideen, die Konzepte für das menschliche Leben, in Städten. Wer dabei sein wollte, „up-to-date“, der musste Städter werden. Auch das ist schon eine Weile vorüber. Heute entwickeln die „networked individuals“ (Lee Rainie) neue Ideen auf globaler Ebene, oft ohne zu wissen, wo sich ihr jeweiliger Gesprächspartner gerade aufhält. So entsteht Innovation im globalen Dorf, ohne irgendeiner Megalopolis zu bedürfen. Passend dazu schreibt „The Futurist“, dass Knowmads Wachstum in „micro-urban“ Gebieten fördern könnten.

Ein Knowmad ist ja laut Knowmad-Society ein nomadischer Wissensarbeiter, also jemand der frei herumziehen kann, weil er virtuell arbeitet. Bloß ist das mit der “micro-urban”-Entwicklung gar kein Zukunftsbild mehr, das passiert schon lang und gerade, weil die Leute nicht Nomaden sind, sondern einfach da bleiben wo sie sind. Selbst wenn das nahezu im Busch ist. Das Freelancer-Portal Elance führt in seiner Statistik der Top 50 Verdienerstädte  in den USA Orte wie Chaska in Minnesota auf.

Mein Konzept des Cyberdropouts bedeutet, dass man arbeiten kann wo man will und leben kann wo man will und das nicht notwendigerweise derselbe Ort sein muss. Und das bedeutet – wie in meinem Fall – dass man sehr deutlich selbst auf dem Land leben kann und trotzdem technologisch an vorderster Front mitmischen (mehr dazu hier in meinem TEDex-Vortrag).

Also auch hier: Kein Grund mehr, zwanghaft in einer Stadt zu wohnen (außer man will das unbedingt). Und wenn das jetzt jeder machen würde? Es hat schon Tradition, aus dem Prinzip heraus etwas Neues aufzubauen, weil man gerade nicht im angesagten Zentrum ist. Hollywood wurde von Individualisten dort gegründet wo es ist, weil es so weit wie möglich von den beherrschenden Städten des Ostens entfernt war. Was also, wenn Menschen weltweit zunehmend erkennen, dass sie in der Zukunft viel eher tun können was sie wollen, wenn sie nicht in eine Stadt ziehen?

Dann könnte es mit dem Trend ganz anders laufen, als es Trendpäpste verkünden. Stell dir vor es ist Urbanisierung und keiner zieht hin …

Meine Basisideen zur Zukunftsforschung

bildjpegIm Bereich Forecasting und Zukunftsforschung bin ich ein Rebell. Denn ich glaube höchst selten an Trends und bin zutiefst skeptisch beim Thema Forecasting. Wie auch schon andere Autoren in diesem Feld – wie Nassim Taleb oder Jim Dator – geschrieben haben, sind die interessanten Sachen gerade die, die nicht vorhersagbar sind. Daher bin ich ein Fan des alten Alan Kay-Spruchs, dass man seine Zukunft erfinden solle und nicht vorhersagen.

Aber, wieso kann man eigentlich nicht forecasten? Es gibt doch so viele schöne Methoden, Trendforscher, tolle Statistik … Im Kern, weil wir zu linear denken und die Rolle des permanenten tiefgehenden Wandels unterschätzen. Seit Jahrtausenden ändern sich beständig die Spielregeln oder wir ändern sie. Trotzdem glauben wir im alltäglichen Leben, immer im selben Spiel zu sein. Wir bekommen nicht mit, dass wir uns selbst, unsere Unternehmen oder unsere Gesellschaft die ganze Zeit neu erfinden. Und so liegt der Glaube an Kreativität und Innovation im Herzen meines Ansatzes, mit der Zukunft umzugehen.

Wenn wir nicht forecasten können, treten zwei Vorgehensweisen in den Vordergrund:

  • Wilde, ungewöhnliche Zukünfte zu erfinden, sich die davon heraussuchen, die uns besonders gefallen und Aktionen zu starten, die das Eintreten dieser Zukünfte wahrscheinlicher machen
  • Robuste Strategien entwerfen, das heißt Strategien, die in vielen verschiedenen Varianten von Zukunft funktionieren. Das ist bedeutend leichter, wenn wir Vielfalt und verschiedene Sichtweisen in unsere Diskussionen integrieren, eben wie es in guten Szenario-Workshops geschieht. Zusätzlich hilft es, Menschen aus verschiedenen Gebieten, Ländern und Gedankenschulen zu verbinden.

Und das bringt uns zur digitalen Welt. Denn für mich ist die Digitalisierung einer der wesentlichen Treiber, mit dem Potential Vielfalt zu verknüpfen und Kommunikation, Lernen und Wandel zu beschleunigen. Mein eigenes Arbeitsfeld liegt dementsprechend auch an der Schnittstelle von Innovation, Digitalen Medien und der Zukunft.

Auch meine Medienproduktionen, wie die Podcasts von “Das Abenteuer Zukunft handeln davon. Da wird nicht so sehr von Trends geredet (das machen andere schon zuviel), sondern es wird über neue Ideen nachgedacht, über Strukturbrüche, Weak Signals, neue Kontinente, die es zu entdecken gilt. Dort gilt es, sich frei für ungewöhnliche Gedanken zu fühlen, vom Unbekannten angezogen zu werden, gespannt zu sein auf Experimente mit neuen Möglichkeiten. Ich habe Sendungen über die Zukunft der Ernährung, über Materialismus, über Sex und über das Arbeitsleben der Zukunft produziert, dabei Methoden aus der Zukunftsforschung wie Delphi, S-Kurven oder Kondratieff-Zyklen vorgestellt. Dabei wurde auf eine etwas andere Art über Dinge wir Doping, das Altern oder Glück gesprochen und neue Wörter wie Patchworkleben und Cyberdropout geprägt. Alles basierend auf der Idee, dass wir selbst die Zukunft erfinden und das jedermann die passenden Werkzeuge aus der Zukunftsforschung für sein eigenes Leben einsetzen kann.

“Das Abenteuer Zukunft” startete als Podcast 2006 mit diesen Ideen als Grundlage. Es entwickelte sich schnell zum führenden deutschsprachigen Podcast zu Zukunftsthemen und führte zu zahlreichen Speaker-Engagements. Als einer der Pioniere im Bereich Podcasting konnte ich dann die Methoden und Technologien aus den Bereichen Social Media, Enterprise 2.0 und Pod-/ Videocasting bei zahlreichen Unternehmen einbringen. Mit Partnern implementierte ich Communities, Mobile-Learning-Plattformen, E-Learning-Universitäten und neue Verfahren, um Wissen zu teilen und Best Practices zu verbreiten. Fünf Jahre später startete auch eine englischsprachige Variante der Podcasts.

Mein anderes Feld sind Speakertätigkeiten und Zukunftsworkshops, bei denen es das Ziel ist, dass Menschen Dinge auf eine neue Weise betrachten, Leute im Guten ein wenig zu schütteln, um neue Wege zu finden oder Begeisterung für die Möglichkeiten der Zukunft zu wecken. Egal ob im Business, in der Politik oder im persönlichen Bereich.