Was haben Aquarien mit Web 2.0 zu tun?

Vor einigen Wochen traf ich bei einer für Web 2.0 völlig fachfremden Lektüre auf eine gute Metapher für meine Ideen zu Web 2.0. Günther Sterba war ein deutscher Ichthyologe, also ein Fischforscher, seine Aquarienbücher aus den 50er Jahren waren Kultbücher vieler Jugendlicher, die sich noch mit analogen Sachen beschäftigten, wie eben auch ich. Als ich jetzt wieder darin herum las, fand ich Erstaunliches.

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Er schrieb 1955 (in meinen Worten), dass all die Hobbyaquarianer unabdingbar für die professionelle Forschung wären. Denn man könne nicht einfach z.B. das Fortpflanzungsverhalten eines bestimmten Fisches zentral einmal untersuchen und wüsste dann Bescheid. Das hängt von so vielen Faktoren ab, bekannten wie der Wassertemperatur, aber eben auch welchen, die man gar nicht auf dem Radar hat. Und daher funktioniert dann das Züchten bei vielen Leuten nicht, die sich eigentlich an alles gehalten haben, was Experten so erforscht haben. Weil sie eben an einem anderen Standort sind, in einer anderen Situation und andere Einflüsse herrschen. Und kleine Unterschiede haben große Wirkung.

Also daher die Lösung, dass Hundertausende von begeisterten Hobbyaquarianern das jeweils zuhause ausprobieren und sich austauschen. Und dadurch automatisch durch die Verschiedenheit der lokalen Gegebenheiten unzählige Faktoren einbeziehen, austesten, kommunizieren, erkennen. Eine Forschungsleistung, die einzelne Institute weder bezahlen könnten, noch das Personal hätten aber vor allem nicht unter so zahlreichen spontane Bedingungen durchführen könnten. Der ungewöhnliche, stark verteilte, ortsgebundene Mix macht’s. Und dieser Austausch funktionierte damals noch mit . . . Schreck . . . Briefen!

In diesem Beispiel ist alles drin, was für mich die Web 2.0-Idee treibt: viele begeisterte Individualisten einbinden, die auf heterogene Weise für ihre jeweiligen Situationen experimentieren und durch intensive Vernetzung das Wissen und die Fähigkeiten aller vermehren. Und genauso sollten wir dann eben Projekte aufsetzen bei Enterprise 2.0, Innovation und Zukunft. Viele Blickwinkel, Verschiedenheit, Individualität, Heterogenität, bottom-up statt wissender Elite. Deshalb lieber ein Scenario-Projekt mit vielen „normalen“ Menschen als Delphi-Panels mit wenigen Experten, lieber Prediction Markets als operative Planung. Und wenn wir mit dieser Metapher im Kopf einmal über das Gesundheitswesen oder Unternehmensführung nachdenken?