Einstieg in alternative Realitäten

Eine meiner liebsten Techniken in Seminaren ist das Futures Wheel. Im Kern ist es eine fast erschreckend simple Vorgehensweise: Ich betrachte einen Event und überlege mir, was die Folgen dieses Events sind und das in mehreren zeitlichen Wellen. Sie können sich das wie bei einem Stein vorstellen, der in einen Teich geworfen wird. Sie sehen die Wellenfronten, die sich vom Eintrittspunkt an ausbreiten.

platsch

Das Auftreffen des Steins ist für den Teich ein Event, aber in Zukunftsseminaren können das natürlich beliebige Events sein, wie die Entwicklung einer neuen Technologie oder ein politisches Ereignis. Die Vorgehensweise ist mindmapartig: Zuerst überlegt man sich die direkten Konsequenzen und malt die strahlenförmig vom Ausgangspunkt ein. Jede dieser Konsequenzen wird dann ein neuer Ausgangspunkt, ein neuer Event, der selbst wieder Effekte nach sich zieht.

In meinen Seminaren arbeite ich z.B. immer mit Events, die an einem Freitag passieren. In der ersten Welle beschreiben die Teilnehmer dann, was als Effekt am Montag darauf passiert und in der nächsten Konsequenz nach fünf Jahren.

futureswheel

Die Ideensammlung zum Futures Wheel (wieso das Rad heißt, müsste so langsam klar sein) kann in freier Assoziation durchgeführt werden wie beim Mindmapping. In einigen professionellen Seminaren, gerade im Bereich der Politik, wird aber mit Kategorien vorsortiert, wie im folgenden Bild (nach Jerome Glenn). Das ist strukturierter im Vorgehen und einige Teilnehmer kommen so auch auf mehr Ideen.

augmentedwheel

Ein Futures Wheel kann am Flipchart entstehen, mit einem Mindmapping-Tool oder allen anderen klassischen Moderationstools (her mit den bunten Karten …). Aber es geht auch multimedialer und im großen Stile kollaborativ. Ein hervorragendes Beispiel dafür war “World without Oil“. In dieser Onlinesimulation, oder auch Alternate reality game, nahmen die Teilnehmer an, es würde von einem Tag auf den anderen kein Öl mehr auf der Welt geben. Sie schrieben über 32 Tage Blogbeiträge in Tagebuchform, drehten Videos, produzierten Radiosendungen aus der Welt ohne Öl und schufen so ein gigantisches multimediales Futures Wheel im Internet, das die Wellen nach einem dramatischen Event verdeutlichte.

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Futures Wheels können innerhalb von Forecasting und Foresight eingesetzt werden, um innerhalb des Kegels der Möglichkeiten die verschiedenen Wege nach einem Ereignis aufzuspüren. Oder um Szenarien mit zusätzlichen Details zu versehen und mehr zukünftige Ereignisse als Basis für eine strategische Planung aufzuspüren.

Meine Anwendung des Futures Wheel ist ein wenig speziell. Bei mir dient es zum Übergang vom klassischen Forecasting, mit seinen fast linearen Verlängerungen der Gegenwart, hin zum kreativen, erfinderischen Umgang mit der unbekannten, offenen Zukunft. Es ist für mich ein elegantes Tool, mit Teilnehmern Umbrüche und Revolutionen ins Spiel zu bekommen, und das auf eine spielerische Weise.

Dazu führe ich noch ein kleines zusätzliches Element ein und das schon ganz am Anfang. Ich erforsche vorher mit den Teilnehmer die Kernglaubenssätze ihres Umfelds, ihrer Branche, ihres Unternehmens. Die Regeln und Erfahrungen, die jeder für bewährt oder sogar unumstößlich hält. Also die Glaubenssätze, die die Welt der entsprechenden Menschen zusammenhalten. Habe ich die herausgefunden, setze ich einen Event in den Kern des Futures Wheel, bei dem sich der entsprechende Glaubenssatz an einem Freitag schlagartig ins Gegenteil verkehrt. Alles was der Teilnehmer für wahr gehalten hat ist jetzt plötzlich falsch. Und mit dem Futures Wheel testet er aus, was das bewirkt.

Wieso dieses rabiate Vorgehen? Viele Vorläufer aus der Kreativitäts- und Zukunftsszenerie haben schon beschrieben, dass für Menschen ein “Reset” ein sehr schwieriges bis unmögliches Unterfangen ist. Wir sind durch unsere Glaubenssätze und Erfahrungen, gerade durch die, die uns erfolgreich gemacht haben in unserer Sicht beschränkt. Wollen wir über Neues nachdenken, müssen wir zumindest für einen Moment aus diesen “Areas of influence” wie sie de Bono nannte heraus.

Eine Technik dafür ist da sogenannte Assumption Reversal nach Frans Johansson (“Medici Principle”): Ich nehme eine Grundannahme, drehe sie um und versuche, mir einen Reim auf das zu machen, was sich ergibt. Genau das ist mein Ansatz beim Futures Wheel: den bestimmenden Kernglaubenssatz nehmen, ihn als Reversal ins Gegenteil zu verkehren und mir durch die verschiedenen Wellen an Folgen einen Reim darauf zu machen.

Die rabiate Variante hat zwei mögliche Ergebnisse;

  • sie liefert zahlreichen Input für einen Plan B auf der Basis eines Worst Case Scenario in der strategischen Planung. Ich denke mich zutiefst darin ein, was so alles passieren kann…
  • beim Betrachten der Folgewellen in der Zukunft stelle ich fest, dass sich dort Chancen entwickeln, an die ich bisher noch gar nicht gedacht habe. Der traumatische Event ermöglicht mir also eine Entwicklung zu etwas Neuem, vielleicht sogar zu etwas Besserem als zuvor.

Gerade dieser letzte Aspekt fasziniert mich und zeigt oft erstaunliche Wirkung in Seminaren. Schließlich spielen manche Teilnehmer hiermit ihren persönlichen, zumindest beruflichen Alptraum durch, nur um festzustellen, dass sich danach eine weite Zukunft öffnet. Genau deshalb öffnet das Futures Wheel in Zukunftsseminaren und im Zukunftscoaching auch die Welt hin zu Umbrüchen und radikal neuen Lösungen.

In diesem Blog habe ich ja schon zahlreiche Beispiele gebracht, in denen erst ein alter Glaubenssatz aufgelöst werden musste, bevor das Neue enstehen konnte, wie z.B. die Kanonenstory, “Tod durch Dogma” oder die Nadel, die alles veränderte.

In unserem Kurs für Ihre persönliche Zukunft setzen wir das Futures Wheel ebenso für den Übergang vom Forecasting hin zur kreativen, wilden Zukunft ein. Sie können immer wieder das Futures Wheel innerhalb des Kegels der Möglichkeiten einsetzen, später den Effekt von Wild Cards durchspielen oder, wie in der Übung in der neuen Folge des Kurses, um für einen Moment die fundamentalen Spielregeln ihres Lebens zu hinterfragen.

Hören Sie die neue Folge in “Das Abenteuer Zukunft”: DAZ 97 – Reality is an option