Mental Convergence I

In den 90ern entwickelte ich eine Konzeption, einen „Fahrplan“, wie sich Technologie und die Fähigkeiten des Gehirns zusammen weiterentwickeln können. Auch heute noch gehe ich davon aus, dass diese Themen immer stärker konvergieren werden, daher auch der damals geprägte Name für meinen Fahrplan: Mental Convergence. Da sich einiges auf dem Weg getan hat, diesmal eine kleine Rückschau, mit dem weiteren Fahrplan in die Zukunft im nächsten Blogbeitrag.

Bisher wurde in der Kulturgeschichte des Menschen die Erweiterung seines Geistes durch Ansätze wie Meditation – neumodischer Mentaltraining – betrieben. Schon damit sind ja erstaunliche Dinge möglich, die uns weit vom Alltagsbewusstsein entfernen und neue Erkenntnisse und Abenteuer ermöglichen. Die Kernfrage der Mental Convergence war jetzt, wie man den menschlichen Geist durch Einsatz von Technologie erweitern kann, ggf. irgendwann durch Verschmelzung mit Technologie.

Denn wir wissen ja, man kann als Menschen nur weiterkommen, indem man entweder das menschliche Individuum entwickelt oder die Menschen geschickter vernetzt resp. sich vernetzen lässt. Oder beides. Mental Convergence handelt jetzt eben von der ersten Möglichkeit, vom menschlichen Geist und davon, was ein Mix aus Gehirnforschung, Erkenntnissen über den menschlichen Geist und die Digitalisierung so alles bewirken kann.

Mein erstes Interesse galt dem Lernen. Und nicht nur dem Lernen im Sinne von Zahlen, Daten, Fakten, sondern auch dem, was wir zur Persönlichkeitsentwicklung zählen würden, was in einem Coaching stattfindet. Im Film „The Game“, in dem der von Michael Douglas gespielten Hauptfigur die Teilnahme an einem Spiel geschenkt wird das ihr Leben verändert, wurde mir das Ideal für solches Lernen gezeigt. Das Spiel im Film ist „echt“ in dem Sinne, dass der Teilnehmer mit vollem Erleben in es einsteigt und es deshalb auch tiefgreifenden Wandel bei ihm bewirkt. Und das Spiel ist maßgeschneidert auf seine Persönlichkeit, seine Wahrnehmung und sein tiefliegendes Kernproblem.

„Full immersion“ und auf das Individuum abgestimmt sollte also ein vernünftiges Mental Convergence System zum abenteuerlichen Lernen sein. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich meine Ausbildungen in NLP, Hypnose und Design Human Engineering schon weitgehend abgeschlossen. Das gab mir „Material“ für meine Reise. Im NLP lernt man z.B. dass die Art wie Menschen in ihrem Kopf bestimmte Wahrnehmungen, Gedanken, Ideen darstellen einzigartig für jede Person ist. Es macht einen Unterschied, ob ich bestimmte Ideen als Bilder sehe, oder sie in einem inneren Dialog „höre“. Und um besondere Wirkung zu erzielen müssen z.B. diese Bilder auf eine bestimmte Weise dargeboten werden, was man im NLP „Submodalitäten“ nennt. D.h. werden mir Lerninhalte auf diese Weise maßgeschneidert für meinen Geist präsentiert, bleibt davon eher etwas hängen, als wenn es eine „Standard-Show“ ist.

Das wollte ich – zumindest rudimentär – in Technologie abbilden. In den experimentierfreudigen und zukunftsgierigen 90ern habe ich da mit den aufkommenden 3D-Welten schräge Sachen ausprobiert. Ein Klassiker war mein VRML-Submodalizer von 1997, eine webbasierte 3D-Anwendung, die beim Mentaltraining helfen sollte. Die Anwendung basierte auf der Programmiersprache VRML und verwendete den gerade entwickelten 3D-Sound und MPEG-Video. Der Benutzer konnte direkt einstellen, wie groß das zentrale Bild ist, in welcher Entfernung es erscheint und aus welcher Richtung es kommt. Ebenso konnte er einstellen, aus welcher Richtung und in welcher Lautstärke die “hypnotische Stimme” in seinem Kopfhörer kommt. Auch die Farbe des Hintergrunds war individuell steuerbar. So konnte jeder Benutzer die Darstellung so einstellen, wie er selber es sich “vor seinem geistigen Auge” vorstellen würde. Und genau dieser Vorstellung wird er wohl auch bevorzugt Glauben schenken!

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Wir erinnern uns: das war weit vor dem multimedialen Internet und ein Zeitalter vor den Smartphones. So etwas heute als App mit 3D-Brille zu programmieren wäre natürlich ein Witz. Erstaunlicherweise tut es keiner. Der Zeitgeist ist in Bezug auf solche Dinge völlig unexperimentell.  Es werden lieber Apps programmiert, die gnadenlose Unterwerfung unter irgendeinen Diätpapst protokollieren (von den lobenswerten Ausnahmen mehr im zweiten Teil).

Mein Weg zur Verknüpfung von Geist und Technologie ging damals weiter zu Computerspielen mit Biofeedback, bei denen man die Computersteuerung durch Körpermeßwerte kontrollierte oder bei denen das eigene Empfinden Auswirkungen auf den Spielverlauf hatte (ja, sowas gab es vor rund 20 Jahren auch schon!). Auch so etwas konnte ja in Zukunft zum computerunterstützten Lernen eingesetzt werden.

Die Experimente von damals führten mich zum Lernen mit Spielen, auch in Onlinegames und dazu, dass ich seitdem auf einer alltäglicheren, pragmatischeren Ebene auch im E-Learning-Bereich tätig bin. Die futuristische Agenda dahinter habe ich aber nie vergessen.

Zur gleichen Zeit wie der „VRML-Submodalizer“ beschäftigte ich mich intensiv mit einem anderen „abgefahrenen“ Gebiet, dem luziden Träumen, also der Möglichkeit sich während des Traumes bewusst zu werden, dass man träumt, aber im Traum zu verbleiben. Neben dem Spaß, den man in solchen Träumen erleben kann, ist der Nutzen für mein Thema offensichtlich. Was für eine bessere Game-Machine gibt es bisher als unser Gehirn, wo bekommen wir mehr „Full immersion“ mit allen Sinnen als in unseren Träumen? Das für Lernzwecke oder zur Persönlichkeitsentwicklung zu nutzen solange unsere 3D-Technik noch nicht weit genug ist, erscheint doch nahe liegend, oder? Pioniere wie Paul Tholey versuchten sich dementsprechend auch z.B. am Sporttraining in luziden Träumen.

Ich ging auf dem Mental Convergence Weg das Thema Luzidität neben dem Mentaltraining technologisch an. Tools wie den NovaDreamer oder den DreamSpeaker etc. probierte ich alle aus, als sie auf den Markt kamen, unterstützt durch eigens produzierte Hypnosetapes.

Was mir damals schon auffiel und was prima in mein Konzept passte, war die Ähnlichkeit der Wahrnehmung in Traumwelten und in virtuellen Welten. Oneironauten (so werden die luziden Träumer genannt) müssen z.B. lernen, wie sie ihre Aufmerksamkeit steuern, damit sie im Traum bleiben. Sie müssen erkennen was genau bewirkt, dass man „da“ ist. Experimente am HitLab der University of Washington zur Wahrnehmung in virtuellen Welten zeigten spannenderweise genau dieselben Kriterien, die im Cyberspace dazu führten, dass die Menschen die Illusion als real empfanden und aus ihrer Sicht „da“ waren. Konnte man also unsere mentalen Landschaften und die virtuellen Landschaften irgendwann verschmelzen, um unseren Geist weiterzuentwickeln?

Weiter geht’s mit Mental Convergence im nächsten Blogbeitrag!