Die Race-with-Machines-Strategie

Wer ist der beste Schachspieler der Welt? Diese Frage stellt Andrew McAffee, der den Begriff Enterprise 2.0 prägte, in seinem faszinierenden neuen Buch „Race against the machine“. Und spielt damit auf die langjährige Rivalität zwischen Schachgroßmeistern und Computern an. Die Antwort ist aber nicht das eine oder das andere, sondern: ein Team aus Menschen und Computern. Und darin steckt eine aufregende Vision für unsere Zukunft. Fragen sich Menschen, ob wir oder die Roboter gewinnen werden, sollte die Antwort sein: Beide!

Und es sind nicht Teams aus den besten Playern mit den besten Computern. Nein, ein mittelmäßiger Spieler mit einem mittelmäßigen Computer aber beide verknüpft durch einen besseren Prozess schlagen die Top-Maschinen und -Player, wenn diese alleine antreten oder schlecht zusammenarbeiten.

Was diese Zukunftsvision jetzt nicht bedeutet, ist die behäbige Auffassung, dass schon alles gut geht und Dinge wie Robotik oder Digitalisierung keine Konkurrenz zum Menschen sind. Denn das sind sie, wie McAffee in seinen Anfangskapitel unmissverständlich klarmacht. Über diese  bequeme aber irrige Haltung habe ich schon in meinem Beitrag „Drei Säulen“geschrieben: Wenn z.B. im Verkauf behauptet wird, dass „nichts den menschlichen Kontakt im Verkauf ersetzen kann“, dass es „etwas ganz anderes ist, über Internet zu kaufen, die menschliche Beratung sei einfach intensiver und besser, online kaufen hat nur etwas mit dem Preis zu tun“. Das verkennt das Problem, nämlich dass sehr bald die Online-Beratung haushoch besser sein wird als die einzelne Beratung eines Menschen. Ebenso wie im direkten Duell zwischen Großmeister und Computer beim Schach eindeutig der Computer gewinnt.

Aber noch besser ist eben die Kombination. Und das heißt für uns im unternehmerischen Alltag: Beide Seiten in höchster Vollendendung beherrschen: Soft Factors und Digitale Revolution. Und dann genau herausarbeiten, an welchen Punkten sich beide gegenseitig hebeln können, wie man mit der Kombination aus Mensch und Maschine die bisherigen Spielregeln meines Marktes völlig ändern kann. Denn Untersuchungen zeigen: die erfolgreichsten und produktivsten Unternehmen setzen nicht nur z.B. die neuste IT ein, sondern ändern Führungs-, Kommunikations- und Entscheidungsverhalten, ja ihre gesamte Organisation so, dass Technologie ideal genutzt wird. Sie würden eben im Moment nicht einfach „Social Media“ einführen, sondern ihr Unternehmen umbauen, um Web 2.0-Tools ideal einzusetzen. Und diese organisatorische Innovation ist mit einem enormen Hebel möglich. Denn digitale Technologie macht es auch möglich, nicht nur Bits, sondern auch die neu erfundenen Prozesse schnell weltweit zu kopieren.

McAffee’s  Empfehlungen münden in der „Race with machines Strategie“: die Rate und Qualität der organisatorischen Innovation verbessern und die Skills der Mitarbeiter erweitern, mit den Tools der digitalen Welt besser umzugehen.

Was haben Aquarien mit Web 2.0 zu tun?

Vor einigen Wochen traf ich bei einer für Web 2.0 völlig fachfremden Lektüre auf eine gute Metapher für meine Ideen zu Web 2.0. Günther Sterba war ein deutscher Ichthyologe, also ein Fischforscher, seine Aquarienbücher aus den 50er Jahren waren Kultbücher vieler Jugendlicher, die sich noch mit analogen Sachen beschäftigten, wie eben auch ich. Als ich jetzt wieder darin herum las, fand ich Erstaunliches.

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Er schrieb 1955 (in meinen Worten), dass all die Hobbyaquarianer unabdingbar für die professionelle Forschung wären. Denn man könne nicht einfach z.B. das Fortpflanzungsverhalten eines bestimmten Fisches zentral einmal untersuchen und wüsste dann Bescheid. Das hängt von so vielen Faktoren ab, bekannten wie der Wassertemperatur, aber eben auch welchen, die man gar nicht auf dem Radar hat. Und daher funktioniert dann das Züchten bei vielen Leuten nicht, die sich eigentlich an alles gehalten haben, was Experten so erforscht haben. Weil sie eben an einem anderen Standort sind, in einer anderen Situation und andere Einflüsse herrschen. Und kleine Unterschiede haben große Wirkung.

Also daher die Lösung, dass Hundertausende von begeisterten Hobbyaquarianern das jeweils zuhause ausprobieren und sich austauschen. Und dadurch automatisch durch die Verschiedenheit der lokalen Gegebenheiten unzählige Faktoren einbeziehen, austesten, kommunizieren, erkennen. Eine Forschungsleistung, die einzelne Institute weder bezahlen könnten, noch das Personal hätten aber vor allem nicht unter so zahlreichen spontane Bedingungen durchführen könnten. Der ungewöhnliche, stark verteilte, ortsgebundene Mix macht’s. Und dieser Austausch funktionierte damals noch mit . . . Schreck . . . Briefen!

In diesem Beispiel ist alles drin, was für mich die Web 2.0-Idee treibt: viele begeisterte Individualisten einbinden, die auf heterogene Weise für ihre jeweiligen Situationen experimentieren und durch intensive Vernetzung das Wissen und die Fähigkeiten aller vermehren. Und genauso sollten wir dann eben Projekte aufsetzen bei Enterprise 2.0, Innovation und Zukunft. Viele Blickwinkel, Verschiedenheit, Individualität, Heterogenität, bottom-up statt wissender Elite. Deshalb lieber ein Scenario-Projekt mit vielen „normalen“ Menschen als Delphi-Panels mit wenigen Experten, lieber Prediction Markets als operative Planung. Und wenn wir mit dieser Metapher im Kopf einmal über das Gesundheitswesen oder Unternehmensführung nachdenken?