100 Sendungen Abenteuer Zukunft!

“Das Abenteuer Zukunft” wurde gestartet, um auf eine optimistische, chancenbetonte Art über die Möglichkeiten der Zukunft zu berichten. Und das nicht, weil ich die Kehrseiten mancher Entwicklungen nicht kennen würde, sondern weil sich die deutschsprachigen Medien ausschließlich auf diese Seite warfen und wir auf diese Weise nur die negativen Möglichkeiten wahr machen würden. So spricht Abenteuer Zukunft eher von einem kommenden Zeitalter des Reichtums (DAZ 42), das andere Hypezeitalter wie die Renaissance in den Schatten stellen wird, und von einer Rückkehr der legendären 20er Jahre in wenigen Jahren (DAZ 66) aber mit ganz anderer Größenordnung.

 

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Dazu passend bin ich viele Themen in diesen 100 Sendungen auf ungewöhnliche, teils radikale Weise angegangen, nicht, um damit die Zukunft vorherzusagen, sondern um meine Zuhörer auf ungewöhnliche Ideen zu bringen, mit denen sie selbst eine spannende Zukunft miterschaffen können:

 

  • über eine Medizin der Zukunft, in der Zähne nachwachsen (DAZ 03) und Organe einfach nachproduziert werden  (lange bevor Unternehmen wie Organovo das umzusetzen begannen) oder den Körper der Zukunft, bei dem wir ein paar Features upgraden (DAZ 24),
  • über die Zukunft der Ernährung, in der Slow Food, Smart Food, Molekularküche, Gentechnik und gastronomischer Genuss schräge Allianzen eingehen und wir zum grünen Mann mutieren, der nur essen muss, wenn es ihm Lust bereitet (DAZ 11),
  • über eine Politik der Zukunft, die sich fragt, ob wir Bürger noch Parteien oder Parlamente brauchen (DAZ 16 im Jahr 2006, vor Finanz- und Schuldenkrise) oder ob man nicht direkt eigene Staaten gründet (Seeluft macht frei, DAZ 54),
  • über den Sex der Zukunft, bei dem wir Roboter als lernfähige Partner gewinnen und uns noch ein paar Geschlechter zulegen, da uns nur zwei zu wenige Kombinationsmöglichkeiten sind (DAZ 57),
  • über Sport der Zukunft (DAZ 35), wobei harmlos darüber geplaudert wurde, ob Doping nicht die normalste Sache der Welt sein könnte,
  • über Langlebigkeit, die mit dem Patchworkleben (DAZ 43) mehrere klassische Karrieren und Lebenswege in einem Leben bietet,
  • den Weltraumtourismus, der uns normalen Menschen den Weg ins All ermöglicht (DAZ 65) ,
  • oder über das Kino und Gaming der Zukunft, das direkt in unsere Träume eingespielt wird (DAZ 89).
Ein Leitmotiv bei “Das Abenteuer Zukunft” sind die Enabler, also Innovationen, mit denen wir die Spielregeln, auf denen unsere Gesellschaft beruht nachhaltig verändern können. Deshalb funktionieren alte Kochrezepte, mit denen unsere Industriegesellschaft gewachsen ist so oft nicht mehr. Ein typische Beispiel für so einen Enabler ist der oft erwähnte Nanofabricator in der Garage, also ein Apparat, der bei mir zuhause in der Garage in einer mystischen Blubberbrühe alles produziert, was ich mir wünsche und als Blueprint aus dem Internet downloaden kann: von Handies über Steaks bis zu ganzen Autos. Und auf diese Weise klassischen Welthandel und Kostenvorteile zunichte macht. 2006 war das eine kaum vorstellbare Annahme, heute weiß durch das Maker Movement und die 3D-Drucker jeder, wovon die Rede war.
DAZ 69 “Post Scarcity und Robot Society” schildert genau die Gesellschaft, in der überragende Produktionsmethoden klassische Industrie überflüssig machen oder die Idee, dass man etwas kaufen müsste. Die Sendung war 2009, hierzulande tourte Jeremy Rifkin letztes Jahr durch die Diskussionskreise mit Zero Margin Society und die Medien hörten zu. Die ebenfalls seit letztem Jahr heftig tobende Diskussion über Robotisierung  und die Vernichtung von Arbeitsplätzen habe ich schon früh thematisiert: in “Hyperhumanismus” (DAZ 53).
Aber mein Lieblingsleitmotiv während all dieser Jahre und eine der Kernwerte aller dieser Sendungen ist die Wiederermächtigung des einzelnen Menschen im Verhältnis zu Experten, Organisationen oder Regierungen und der immense Wert, der in einer globalen Vernetzung dieser individuellem kreativen Potentiale liegt. Systematisch bin ich in vielen Sendungen durchgegangen, auf welchen Gebieten der Einzelne, elegant durch die Digitalisierung mit Gleichgesinnten vernetzt, seine Unabhängigkeit wiedergewinnt und für uns alle Außerordentliches bewirkt:

 

  • In “Die Rückkehr der Dilettanten” (DAZ 23) zeige ich, dass begeisterte Nicht-Profis in vielen Feldern mehr leisten können als Profis, weil sie über das Internet das Wissen der Welt zur Verfügung haben und sich für ihre Liebhaberei alle Zeit der Welt nehmen können. Sie tun nur, was sie für richtig und gut halten, Marktforschung oder Expertenmeinungen interessiert sie nicht.
  • “Länger ist doch besser” (DAZ 40), die Sendung über den “Long Tail” bot dann für diese “Nischeninteressierten” den passenden Vermarktungsmechanismus. Was brauchen wir Experten und Bestsellerlisten, wenn wir genau das finden und erwerben können, was nur uns interessiert und beglückt?
  • In “Social Lending” (DAZ 41) geben sich die unabhängigen aufgeklärten Einzelnen gegenseitig Kredit. Und fragen sich, wozu man eigentlich so Dinge wie Banken, Internationale Kreditgeber und ähnliches braucht, wenn die doch gar nicht wissen, wie ich ticke?
  • “Kluger Kopf oder dummer Masse” (DAZ 44)  zusammen mit  “Prediction Markets” (DAZ 74) beschäftigt sich mit dem ungünstig “Wisdom of Crowds” betitelten Phänomen. Denn es ist ja gerade keine Masse, sondern die vernetzte Wirkung von Individuen, die sich so einer Massenmeinung entziehen können. Und es zeigt sich, dass diese vernetzte Intelligenz treffsicherer ist als Hierarchien und Elitenclubs.
  • “Open Source Hardware” (DAZ 55) macht mit dem Glaubenssatz Schluss, diese “Social”-Ideen würden nur für Ideen und Software gelten. Open Source macht sich daran, die Welt dessen was uns umgibt zu übernehmen und die Blueprints der zukünftigen Produkte in Gemeinschaftsarbeit zu erschaffen.
  • “DIY Bio” (DAZ 61) eröffnet dasselbe Feld für die Biologie und sieht das keinesfalls als eine Geringschätzung des Lebendigen, sondern im Gegenteil. Wie der PC “Power to the people” im Vergleich zu Großrechnern war, ist der individuelle Zugang zur Biowissenschaft eine Rückeroberung.
  • “Materialismus” (DAZ 62) spinnt den Gedanken weiter. Wenn wir Hardware nach Bedarf erschaffen können und Wissen immer im Zugriff haben, wofür brauchen wir die ganzen materiellen Güter eigentlich noch? Aber statt dadurch asketisch werden zu wollen, propagiert die Sendung den Reichtum an Möglichkeiten. Wir brauchen nur noch Zugang und nutzen das Potential der ganzen Welt. Jahre später reden auch die klassischen Medien über die Shared Economy, die  beginnt , diese Ideen wahr zu machen.
  • “Wir sind das Studio” (DAZ 63) schildert die veränderten Produktionsbedingungen in der Musik- und Filmindustrie. Da die für das Austoben der Kreativität nötige Technologie heute sehr preiswert zur Verfügung steht, werden wir unabhängig von Sendern und Meinungsmonopolen. Wir können podcasten, youtuben, Nachrichten produzieren, Bücher publizieren, elektronische Musik für die Clubs der Welt mischen. Und sind nur uns selbst verantwortlich.
  • “Cyberdropouts” (DAZ 64) spricht von der geographischen Befreiung. Durch die Vernetzung können wir leben wo wir wollen und gleichzeitig an einer völlig anderen Stelle der Welt arbeiten. Wir müssen nicht mehr in ungeliebte Großstädte oder gehypte In-orte, sondern leben da, wo es uns gut tut und mischen trotzdem an vorderster Front mit. Etwas, was “Landlust” bis heute nicht in letzter Konsequenz kapiert hat.
  • “Kleine Schritte für uns” (DAZ 67) besucht die Part Time Scientists, also das deutsche Team beim Google X-Price, die einen Rover auf den Mond bringen wollen. Was zeigt, dass selbst die großen, menschheitsbewegenden Projekte mittlerweile durch vernetzte Einzelne gestemmt werden können.
  • Ebenso “Citizen Science” (DAZ 78), wo wir anhand des Crowdfunding-Projekts uBiome erfahren, dass auch große Forschungsprojekte durch die digitale Zusammenarbeit der Engagierten aufgesetzt werden können. Was uns unabhängig von Regierungen oder anderen klassischen Geldgebern macht, was dafür sorgt, dass Geld in Dinge fließt, deren Erforschung uns wichtig ist.
Die Zukunft wird von jedem Einzelnen geschaffen und durch die Nutzung der Enabler-Technologien und durch elegante Vernetzung transzendieren wir bisherige Organisationsstrukturen der Menschen, wie Hierarchien oder Expertokratien.
Als eines der aktuellen Projekte entwickele ich bei Abenteuer Zukunft folgerichtig einen Kurs, der Nutzern die Tools und Techniken der Zukunftsforscher, Forecaster, Foresighter, Futuristen, Designer und strategischer Planer an die Hand gibt, um mit angepassten Varianten dieser Methoden das eigene Leben zu entwerfen und dabei zu helfen, eine spannende, vielfältige Zukunft für uns alle zu erschaffen.

Im hundertsten Podcast unterhalten sich Hans-Jürgen Walter – der Begründer des Portals “Das Abenteuer Leben” – und ich über die Hintergründe und weiteren Perspektiven des Podcast. Hören Sie hier mal rein.

Der im Podcast erwähnte CV mit der Story meiner bisherigen Aktivitäten findet sich hier:

 

DAZ 87: Genomic Gastronomy

Essen ist ein Thema, das Menschen im wahrsten Sinne des Worte nahe geht. Schließlich nehmen wir es in uns auf! Deswegen sind viele Diskussionen zum Thema Essen auch sehr schnell sehr emotional und werden mit fast religiösem Eifer geführt. Unser Ansatz, dass man die Zukunft mitbestimmen und miterfinden sollte dürfte also in besonderem Maße für Nahrungsmittel der Zukunft gelten. Wie aber kann man über die Zukunft des Essens sprechen? Gerade wenn dabei nicht die schicken Studien beliebiger Trendpäpste zum Tragen kommen sollen, sondern wir selbst?

Eine provokative und unterhaltsame Art sind die Events von Genomic Gastronomy. Die Künstlergruppe betreibt genau das Äquivalent zu partizipativen Zukunftsmethoden, zu Szenarien oder Simulationen, nur eben sinnlich erfahrbar. SEHR sinnlich teilweise … Kein Wunder, dass ihre Performances zu intensiven emotionalen Reaktionen führen, aber dadurch auch zu sehr grundsätzlichen Diskussionen und dem Infragestellen der eigenen Glaubenssätze.

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Zukunftsforschung, bei der die Teilnehmer “sehr spezifisch” werden, sich “die Hände schmutzig machen” beim Gestalten der Zukunft und manchmal sogar ihr Blut spenden müssen, um zur Erkenntnis zu gelangen. Bei Genomic Gastronomy heißt dann eine Sauce auch einmal Cobalt 60, sie betreiben Disaster Pharming, servieren Glowing Sushi oder veranstalten ein gemeinsames Smog-Tasting.

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In der neuen Folge von Das Abenteuer Zukunft interviewe ich die Köpfe der Gruppe, Zack Denfield und Cat Kramer. Wir reden über die Rolle von Design und Kunst beim Entwurf der Zukunft und was man so erleben kann, wenn es beim Reden über die Zukunft der Nahrung so richtig zur Sache geht …

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Nachdem schon eine der ersten Folgen von Abenteuer Zukunft vor vielen Jahren vom “Grünen Mann”, Molekulargastronomie und Slow Food handelte, jetzt ein etwas anderer Zugang zu Essen und Kochen. Den Podcast gibt es hier zum Download oder abonnieren Sie am besten direkt Abenteuer Zukunft bei iTunes.

(Bilder: Genomic Gastronomy)

Wieso eigentlich Innovation?

Einige Leser fragen sich vielleicht nach all diesen Stories: Wieso redet der Magnus eigentlich die ganze Zeit von Innovation und Kreativität? Und dann auch noch mit Stories von alten Kanonen und ähnlich antiquiertem Kram? „Abenteuer Zukunft“ handelt doch von der Zukunft, von Dingen wie Nanotechnologie und der Eroberung des Weltalls? Wieso schreibt er nicht über die Zukunft und über Tools der Zukunftsforschung?

Dazu heute zum Luftholen zwischen den Innovationsthemen als vorweggenommene Einwandbehandlung einige Antworten. Also einerseits ist Kreativität DAS Zukunftstool, wenn man wie ich der Ansicht ist, dass es die Aufgabe der Zukunftsforscher ist, die Zukunft zu erfinden und wünschenswerte Zukünfte zu ermöglichen. Daher hält man sich nicht mit gewitzten Extrapolationsmethoden auf oder propagiert, dass man in einer Glaskugel die Trendfarben des nächsten Jahrs gefunden hat. Gibt man den übermäßigen Glauben an Voraussagbarkeit auf, sind es statt dessen eben Fragen wie die Veränderung der Spielregeln und Methoden, „um die Ecke denken“ zu können, die in den Fokus rücken.

Aber ich will den Zusammenhang zwischen Innovationstechniken und Zukunftsforschung noch etwas klarer darstellen und verwende dazu mein Standardbezugsmodell, das einige sicherlich schon kennen:

innozu01Die Ressourcen unserer Vergangenheit werden gebündelt, und mögliche Zukünfte im Kegel der Möglichkeiten bestimmt, um dann die ersten Schritte auf dem Weg dahin zu klären. Auf diesem Modell bauen viele meiner Workshop-, Studien- und Coachingansätze auf. Wo in diesem Modell hilft jetzt Innovation?

Es beginnt damit, die eigenen mentalen Landkarten zu erweitern. Das setzt in der Arbeit an drei Stellen an:

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Denn beim Möglichkeitenkegel war es schon immer eine Herausforderungen die Grenzen zu bestimmen, was also innerhalb des Kegels liegt. Und da halten wir uns an Arthur C. Clarke, der meinte dass man die Grenzen nur herausfindet, indem man sie immer wieder einmal überschreitet. In Projekten und im Coaching findet diese Grenzüberschreitung erst einmal mental statt. Und dabei helfen Kreativitätstechniken.

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Im nächsten Schritt benötigen wir den radikalen Geist der Kreativität bei der Aufgabe, wünschenswerte Zukunftsszenarios aufzubauen, und sie in Stories zu packen, mit denen wir sie anderen Menschen vermitteln können.

Und auch im hier und jetzt, beim Startpunkt des Zukunftskegels, hilft Innovation und Kreativität. Da liegt der Schwerpunkt darauf zu erkennen, nach welchen Spielregeln die Welt in der man aktuell lebt tickt und was passiert, wenn man an diversen Rädchen ein wenig dreht. Was bewirkt wie viel? Bei dieser Arbeit hilft die Aufmerksamkeit für Spielregeln und die Fähigkeit, auch die verborgenen Spielregeln zu erkennen. Dieses Erkennen wirkt auch zurück in die Vergangenheit. Sehe ich bestimmte Muster, nach denen ich in der Vergangenheit agiert habe, werden mir die Zusammenhänge bewusst, kann es zu einem Neuinterpretieren der Vergangenheit kommen und dadurch zu einer deutlich besseren Nutzung an Ressourcen (den „Diamanten der Vergangenheit“), die der bisherige Verlauf der Dinge bietet.

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Bin ich mir über den Startpunkt im Klaren und habe ich wünschenswerte Zukünfte gefunden, stellt sich die praktische Frage „Wie komme ich da hin?“. Wie können wir eine der gewünschten Zukünfte möglich machen? Leicht vorzustellen, dass Kreativität dabei hilft, ungewöhnliche Wege, vielleicht sogar Abkürzungen zu finden. Nicht, dass man auf ausgetrampelten Pfaden landet, die einen aber vom eigentlichen Weg in die Zukunft abbringen, den man erst selbst pflastern muss …

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Damit aber noch nicht genug bei der Nutzung von Innovation und Kreativität in der Zukunftsforschung. Denn ein sehr kreativitätslastiger Teil der Zukunftsarbeit ist, sich sehr unwahrscheinliche, aber einflussreiche Events einfallen zu lassen, die sogenannten Wildcards.

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Obwohl diese ein gehöriges Bedrohungspotential aufweisen, zeigt sich in Seminaren, dass Brainstormings zum Aufspüren von Wildcards zu den unterhaltsamsten Aspekten gehören.

Auf den Ergebnissen von Zukunftsworkshops setzen dann oft Früherkennungssysteme auf, die zeigen, ob Events auftreten, die meine Wege in die Zukunft bestätigen, oder eine Warnung darstellen, dass sich die Dinge anders entwickeln.

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Ein wesentlicher Teil dieser Systeme sind die „Weak Signals“, eigentlich selbst Events, die aber eine Art Vorhut für die wirklichen Entwicklungen etwas später sind. Wie der Name schon sagt, sind sie in der Regel nur schwach wahrzunehmen, oft Ereignisse am Rande und nicht in den Schlagzeilen. Noch schlimmer: oft kommen sie aus ganz anderen Themen oder Gebieten als das, was ich eigentlich erfahren will. Und sich das zu überlegen, erfordert eine ganze Menge innovativen Geist: „Welches wie auch immer schräges Ereignis kann mir mit gehörigem Vorlauf etwas darüber sagen, ob ich auf dem Weg in die gewünschte Zukunft auf Kurs bin?“

Sie sehen sicherlich, dass die Zukunftsarbeit an vielen Stellen methodisch von Innovations- und Kreativitätsansätzen durchdrungen ist und dass das gar nicht so viel mit Innovationen in der Produktentwicklung zu tun hat, auf die man sonst vielleicht zuerst käme. Es dreht sich eher darum, die Arbeit mit der Zukunft auf eine innovative Weise zu betreiben und daher muss ich einiges darüber wissen, was die Toolbox der Kreativität so beinhaltet.

Daher werden Sie auch bei „Das Abenteuer Zukunft“ weiterhin eine Menge darüber erfahren.

Die Nadel die alles veränderte

Heute eine weitere Story über Spielregeln und wie sie sich umfassend ändern können. Diesmal aus der Welt der Musik.

Zu den Hoch-Zeiten der Big Band Ära (also in den 30er und 40er Jahren) wurden die Bands immer größer. Da wusste ein Veranstalter kaum mehr, wie viele Stühle für weitere Saxophonisten, Trompeter und andere er noch auf die Bühne stellen musste. Ebenso auch die Musik selbst: Die übereinandergetürmten Harmonien wurden immer komplexer und umfangreicher. Hört man sich z.B. die Arrangements von Stan Kenton an, sind die weit entfernt von den Anfängen in kleinen Jazz-Combos. Mit diesem wachsenden Bombast beschäftigte eine solche XXL-Big Band natürlich eine Menge Musiker.

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Aber plötzlich, in den 50ern, veränderte sich das Bild radikal. Die Gruppen der führenden populären Musik-Stars verwandeln sich in etwas deutlich Kompakteres. Stellen Sie sich einfach die Beatles der 60er vor und stellen Sie diese gedanklich neben die Dekadenz-Big Bands der Glanzzeiten. Klar: der Musikerbedarf war erschreckend gesunken …

Wieso der radikale Schwenk?

Es war nicht etwa der Musikgeschmack, sondern eine Spätfolge davon, dass ein Herr namens Les Paul die Nadel eines Schallplattenspielers an seine Stahlsaitengitarre gehalten hatte. Diese kleine Handlung änderte eine der Kernspielregeln der Bühnenperformance. Denn Big Bands waren vor allem deshalb groß, damit sie laut waren und sich damit in den riesigen Tanzsälen der30er gegen den Lärm durchsetzen konnten. Les Pauls Erfindungen eröffneten das Zeitalter von E-Gitarren und Verstärkerwänden und damit brauchten aufstrebende Musiker nicht mehr das „Produktionsmittel“ der Bombastband. Wenige Gitarren reichten jetzt für ein Stadion. Leute, die am Erfolgsrezept des „Groß ist geil“ festhielten, weil das ihrer Ansicht nach die Spielregel war, spielten ab dann für den populären Erfolg im falschen Spiel.

Die Kraft alter Regeln

Man erzählt sich die Geschichte von einem Coach bei der Marine. Der wunderte sich, dass die Kanoniere auf einem der modernen Kriegsschiffe immer bevor sie ein Geschütz abfeuerten einen Schritt zurück traten. Einen richtig deutlichen Schritt. Erst dann gingen Sie wieder an das Geschütz und schossen.

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Nachdem er das einige Tage beobachtet hatte, sprach der Coach die Kanoniere an und fragte, wieso sie diesen offenkundig überflüssigen Zusatzschritt ausführten. „Das steht so in den Vorschriften“ war die Antwort. Worauf sich der Coach in die dokumentierten Vorschriften einlas und feststellte: Es stimmte! In den Vorschriften wurde das Bedienpersonal von Geschützen verpflichtet, zuerst einen Schritt zurückzutreten um dann wieder zum eigentlichen Abschuss vorzutreten.

Wieso stand so ein Unsinn in den Vorschriften? Genug Motivation für den Coach, sich tiefer einzugraben. Und tief in der Historie dieser Vorschriften versteckt, fand er den Grund, mehr als ein Jahrhundert in der Vergangenheit. Die Vorschrift stammte aus einer Zeit, in der Kanonen von Pferden gezogen wurden. Und daher musste der Kanonier einen Schritt zurücktreten, um das Pferd zu halten, bevor er die Kanone zündete …

Und so wirkt eine praktische Regel aus alter Zeit noch heute, obwohl die Pferde längst verschwunden sind und mit ihnen der komplette Kontext für die Regel. Aber das war schon lange vergessen und deshalb hinterfragte niemand diese Praxisregel.

Auch im nächsten Blogbeiträge wird es um versteckte Spielregeln gehen.

 

Picture Source: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Tsar_Cannon_mouth.jpg

Die Welt als Spiel

Bei der Beschäftigungen mit vielen Bereichen der Innovation und Zukunftsforschung habe ich festgestellt, dass es eine hervorragende gedankliche Basis ist, sich die Welt als ein Spiel vorzustellen. Oder als viele Spiele. Und zwar Spiele, die ihre Spielregeln gelegentlich ändern. Entweder „von selbst“ (das nennt sich dann Evolution), oder durch Erfinder neuer Spielregeln (solche Leute nenne ich „Change Maker“).

Egal ob in Unternehmen, in Gesellschaften oder im eigenen Kopf: Wir richten uns nach bestimmten Spielregeln die unserer Möglichkeiten und Grenzen mitbestimmen und spielen nicht immer dasselbe Spiel. Es gibt nicht nur Fußball, sondern bestimmte Ereignisse bewirken, dass neue Spiele möglich sind.

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Diese „Spielregeln“ verstecken sich hinter vielen Begriffen. „Glaubenssätze“, „Vorannahmen“, „praktische Erfahrung“, „Theorie“, „Kochrezepte“ sind alles Wörter für Spielregeln, sei es in Branchen, im Arbeitsalltag oder bei der Lebensführung. Im Extremfall dann noch Begriffe wie „Naturgesetze“. Wenn Sie einmal eine Weile darüber nachdenken, werden Sie sicherlich bei vielem was Sie umgibt oder mit was Sie sich beschäftigen feststellen können, dass es auf Spielregeln beruht, es nicht so sein müsste, wie es ist.

Aus dieser Logik heraus suche ich eben in meiner Arbeit nicht Forecaster oder Trendforscher (die bleiben meistens innerhalb des aktuellen Spiels), ich will Menschen, Unternehmen und Regionen, die Spielregeln prägen, bessere Reflexe haben, mehr Menschen einbinden, schneller vernetzen. Kaum ein Wunder, dass mich die digitale Revolution interessiert, denn sie ist ein wesentlicher Treiber für veränderte Spielregeln. Echte Innovation und wirkliche Zukunftsorientierung hat für mich etwas damit zu tun, die Spielregeln zu ändern.

Robert Dilts sagt, dass vieles von dem was uns umgibt, früher einmal nur eine Idee, ein Traum, eine Vorstellung im Kopf einer Person war. Das ist natürlich eine schöne Vorstellung, aber darin ist auch eine kleine Schwierigkeit versteckt. Denn: Das Schlimmste ist, wenn wir vergessen haben, dass wir die Spielregeln einmal gefunden oder erfunden haben. Und sie uns aber immer noch prägen. Denn dann können wir sie nicht ändern. Wir wissen ja gar nicht, dass sie da sind!

John Maynard Keynes schrieb darüber, dass gerade „Praktiker“ oft Sklaven schon lange verschimmelter Denker sind, die Spielregeln erfunden haben, nach denen sich die Praktiker richten. Ohne sich dessen bewusst zu sein. Er schrieb das über die Ökonomie, aber das Bild passt auf Vieles. Gerade diese „unbewussten“ Spielregeln sind in der Regel die wirksamsten. Wir handeln ihnen gemäß, ohne das auch nur einen Hauch in Frage zu stellen.

Das Gefährlichste sind Erfolge. Denn sind wir mit einer Methode, einem Ansatz lang genug erfolgreich, glauben wir, das sei „für immer“. Wir glauben also nicht, dass es die gerade angemessene Spielregel ist, sondern dass es „das Richtige“ ist. Nach einer Weile Erfolge glauben wir, das sei „Realität“, das sei so etwas wie ein Naturgesetz und vergessen, dass wir diese Realität selbst erfunden haben. Realität ist nicht fix, sie ist eine Option.

Wenn wir wissen, wo bestimmte Spielregeln herkommen und auf welchen Grundannahmen sie beruhten, können wir sie auch tiefgreifender ändern, wenn dies nötig erscheint.

Um diese etwas allgemeinen, „philosophischen“ Ansätze mit Leben zu füllen, lesen Sie in den nächsten Beiträgen einige typische Geschichten über vergessene Spielregeln und wie sie trotz des Vergessens Innovation behinderten.

Ist die Zeit irgendwann reif?

Sicherlich haben Sie auch schon einmal die Formulierung gehört, „die Zeit sei reif für eine Idee gewesen“. Klingt ja auch eingängig. Zu eingängig. Denn dieser Spruch sagt einiges darüber aus, was wir glauben, wie Innovation stattfindet. Voraussagbar nämlich. Und brav logisch aufeinanderfolgend. Wir glauben, dass das auch in Zukunft so weitergeht. Was wiederum unsere Zukunftssichten stark beeinflusst. Was schade ist, denn die Formulierung ist überwiegend Unsinn.

Zur Erklärung ein Bildchen:

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Eine Kugel liegt schön stabil unten in einer Schale. Schubst man sie ein bisschen, rollt sie ein wenig hin und her, um dann genau am vorherigen Ort wieder zur Ruhe zu kommen. Jetzt stellen wir uns vor, diese gelbe Kugel wäre eine Idee, eine Lösung, eine Methode, ein Ansatz in einer Umwelt. Ideen und Innovation sind überwiegend Lösungen für aktuelle Probleme der Umwelt. Auf was auch immer für einer Ebene. In unserem Bild funktioniert die Idee, die Lösung. Selbst wenn es in der Umwelt zu kleinen Erschütterungen kommt, die Lösung ist stabil.

Jetzt passiert etwas Fundamentales in der Umwelt, sei es in einer Gesellschaft, in einem Markt oder in der Natur. Plötzlich ist die Lösung die bisher so Klasse funktionierte gar nicht mehr so passend. Die Situation stellt sich eher dar wie im nächsten Bildchen:

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Die Lösung ist höchst instabil. Ein kleiner Schubs würde reichen und die gelbe Kugel würde haltlos ins Rollen kommen. D.h. die Lösung, der bisherige Ansatz funktioniert nicht mehr. Menschen müssen sich etwas Neues einfallen lassen, die Kugel rollt, Innovation tritt auf. Wird eine geniale, passende Lösung gefunden, wandelt sich das Bild wieder zu dem oben. Die neue Problemlösung schafft ein neues Gleichgewicht.

Und jetzt kommt das Entscheidende: in der Krise, wenn Lösungen nicht mehr funktionieren, benötigt die Kugel nur einen winzigen Schubs, um ins Rollen zu kommen. Und in welche Richtung dieser vielleicht völlig zufällige Schubs erfolgt, bestimmt, wo entlang die Kugel rollt. Es gibt Million von möglichen Wegen, aber sie wird nur in eine Richtung tatsächlich rollen. Und deshalb werden unzählige andere Möglichkeiten nicht realisiert, nur eine neue stabile Position wird erreicht und nicht alle anderen, die ebenfalls hätten eintreten können.

Das ergibt in vielen lebendigen Systemen das Prinzip der Pfadabhängigkeit. Weil einmal ein bestimmter Pfad eingeschlagen wurde, finden wir heute eine bestimmte Struktur. Nicht weil die so notwendigerweise sein müsste. Sie ist so entstanden und passte, stellte eine Lösung dar. Deswegen ist es so schwierig, manche Ökosysteme wieder zu rekonstruieren, weil an jedem Schritt der Entwicklung dieselben Pfade genommen werden müssten, wie sie „historisch“ eingetreten sind. Aber an mancher Stelle rollt in einer neuen Situation die Kugel eben diesmal in eine andere Richtung. Neue Wege, neue Möglichkeiten entstehen.

Zurück zu unserem Spruch, die Zeit sei reif für eine Idee gewesen. Das suggeriert, dass genau diese Idee, diese Lösung irgendwann das Licht der Welt erblicken musste. Hätte nicht diese Person sie gefunden, wäre es ein anderer gewesen. Da steckt ein Hauch von Schicksal drin, von folgerichtiger Entwicklung. Und das ist eben in der Regel falsch. Denn es hätte oft auch ganz anders verlaufen können. Womit auch die Zukunft eine ganz andere sein könnte.

Das Gebrüder-Wright-Prinzip

Muss man erst einmal bevor wenn man die Welt verändern will etwas ganz anderes machen?

Die Gebrüder Wright stehen am Anfang der Luftfahrt. Und das nicht nur wegen des ersten Fluges eines Schwerer-als-Luft-Flugzeuges. Fast noch wichtiger war es, dass sie mit der 3-Achsen-Steuerung allen zukünftigen Piloten die Möglichkeit gaben zu bestimmen, wo sie hinfliegen wollten.

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Aber sie begannen ihren Weg nicht mit dem Flugzeug, denn wer hätte schon über Jahre von etwas leben können, was es noch gar nicht gab? Schlimmer noch: was es in der Vorstellung der meisten Leute überhaupt nicht gab!

Die Gebrüder Wright besaßen eine Fahrradfabrik, die aus einer Reparaturwerkstatt für Fahrräder entstanden war. Etwas wortwörtlich Bodenständiges. Diese Fabrik begründeten sie inmitten eines Fahrradbooms in den USA, mit sicheren Absatzmärkten. Eine Fahrradfabrik zu betreiben bedeutet hier, einen Zeitpunkt der S-Kurve nutzen, zu dem das entsprechende Produkt schon fest etabliert ist, statt sich den Stress zu machen, ganz am Anfang des langen Anlaufs der S-Kurve etwas Neues zu tun. Mit dem Effekt, dass die Gebrüder dadurch permanent Geld generierten, mit dem sie das betreiben konnten, was sie eigentlich unternehmen wollten, was aber zu diesem Zeitpunkt völlig aberwitzig war, im ökonomischen Kontext der Zeit „sinnfrei“.

Das ist das „Gebrüder-Wright-Prinzip“: mit etwas Etabliertem Geld verdienen, um in der übrigen Zeit von jeglicher Kritik und Verantwortung frei zu tun, was man für richtig hält. Selbst wenn das sonst keiner tut.

Klar mag man sich jetzt vorstellen, dass Fahrräder und Flugzeuge etwas miteinander zu tun haben, die Gebiete sind also doch nicht völlig unabhängig. Es sind schließlich beides mechanische Tätigkeiten. Aber es dreht sich um die Spielregeln, nach denen man arbeitet. Fahrräder waren eben angesagt und deshalb konnte man damit Geld verdienen. Flugzeuge hingegen waren der nächste Schritt in der Menschheitsentwicklung, ein Bruch mit den Spielregeln. Sie waren, was der russische Kosmist Nikolai Fjodorow  die „Umorientierung von horizontal zu vertikal“ nannte: von Kanonen zu Mondraketen, von Fahrrädern zu Flugzeugen.

Das Gebrüder-Wright-Prinzip passt zu Investmenttipps, die dynamische Systeme betrachten: Play safe für die Basisstruktur, mit etwas Langweiligem, was sicher Geld generiert. Und mit einem kleinen Anteil durchknallen. Aber dann völlig. Auf die fundamentalen, explosiven Durchbrüche setzen. Die eine Seite finanziert die andere. Und die andere Seite hebt das System in die Vertikale.

Mit diesem Hintergrund können wir auch erkennen, welche Dinge tiefgreifende Innovation behindern wie z.B.:

  • Regeln, dass jedes Projekt aus sich heraus rentabel sein muss. Und zwar direkt.
  • Steuervorschriften, bei denen man Verluste aus einer Aktivität nicht mit einer anderen gegenrechnen kann.
  • Unternehmen, bei denen zu schlanke Strukturen bewirken, dass es keine Schutzzonen für neue Vorstellungen gibt.

In so einem Umfeld bleibt einem nichts übrig, als wie die Gebrüder Wright das Unternehmen selbst zu gründen.  Und es ist erneut eine Steilflanke für die Dilettanten, die DIYer, die Amateure, die ausschließlich nach ihren eigenen Vorstellungen in ihren Freiräumen etwas beginnen, was in einem normalen ökonomischen Kontext nicht tragbar wäre. Und deshalb im Moment die Welt von Open Source und 3D-Druck mit Ansätzen füllen, die bisher unvorstellbar waren. Dilettanten,  die etwas tun können, was im alten System „sinnfrei“ ist.

Vielleicht müssen sie aber vorher das Äquivalent einer Fahrradfabrik gründen …

AABA (Teil 2)

Kreative sind nicht zum Jammern da, sondern um neuartige Lösungen zu finden. Was also tun, wenn man mit AABA konfrontiert wird?

Tragisch ist, dass es in der Regel an der “Formulierung” liegt. Neue Ideen, wenn auch nichtsprachlich gewonnen, müssen formuliert werden, um für andere zugänglich zu werden. Und diese Formulierung ist oft die sprachliche Struktur der alten Lösung. Insbesondere die neue Sinnstruktur ist oft sprachlich nicht fassbar, ein neues “Zeitgefühl” nur „online“ erlebbar, jegliche Formulierung ist schon ein müder Abklatsch. Versucht der Change-Maker die sprachliche Vermittlung, verstrickt er sich sofort in der Struktur des Gestern.

Kein Wunder, dass sich viele Kreative seit Henry Miller über die Beatnicks bis hin zu Steve Jobs vom Zen-Buddhismus angezogen fühlten. Dessen schräge Dialoge wie “Was ist der Klang einer klatschenden Hand?” sind durch logische Ableitung nicht zu ergründen. Sie beruhen auf der Erkenntnis: wer vom Wort gefangengenommen wird, verliert den Sinn.  In der Verwirrung aber kann dem Lernenden nach einiger Zeit der sinnlichen Auseinandersetzung mit diesem Paradoxon klar werden, dass die Antwort auf “einer anderen Ebene” liegt. Steve Jobs war davon fasziniert, dass Zen Intuition und Spontaneität über das intellektuelle Verstehen stellte. Seine Methode, unerwartete Kommentare abzugeben, um die geistige Schärfe der Leute zu testen und sie aus dem Gleichgewicht zu bringen, wurde dann auch “Zen-verrückter” Führungsstil getauft.

Alltagstauglicher ist da schon die Methode, das Neue in kleine Häppchen zu zerlegen,Chunking genannt. Damit ergibt sich aber ein Problem: der Change-Maker argumentiert dabei immer noch im Koordinatensystem des Alten. Nehmen wir als Beispiel für verfehlte diplomatische Bemühungen die traurige Geschichte eines Mannes vor einigen hundert Jahren, der auszog, den Menschen eine schöne runde Welt mittels Chunking zu erläutern:

“Seht” sprach er zu einer Gruppe von Wissenschaftlern, die der offensichtlichen Tatsache anhingen, die Erde sei flach, “ihr könnt euch sicher eine schöne flache Erde vorstellen (allgemeines Nicken). Und darüber noch eine flache Erde, mit eine bisschen weniger Durchmesser (immer noch allgemeines Nicken). Dies wiederholt Ihr jetzt mehrmals, immer mit ein bisschen weniger Durchmesser. Oberhalb der flachen Erde und dasselbe unterhalb. Wenn Ihr euch nun von außen diesen Stapel an Scheiben anschaut, sieht der nicht einer Kugel verblüffend ähnlich?”. Die Folge war allgemeines verneinendes Kopfschütteln.

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Was hat der diplomatische Change-Maker falschgemacht? Er spielte nach den Spielregeln der Anderen und erklärte seine neue Sicht der Welt in einem Kontext, in dem sie einfach falsch war!  Falls der Zuhörer den Quantensprung nicht in seinem Gehirn mit vollzieht, ist es völlig unmöglich, den Change-Maker zu verstehen.

Es bleibt das Primat des Handelns. Prototyping, um das Neue sinnlich erfahrbar zu machen und sonst: Einfach das Neue leben, bauen, nutzen! Plötzlich abstrakte Kunst malen, eine Tonleiter aus zwölf Tönen statt acht nutzen, die bisher geraden Räume des Universums krummbiegen, den Menschen ein iPhone in die Hand drücken oder was wollten Sie als B in die Welt bringen?

AABA (Teil 1)

Auch „Genies“ wie Salvador Dali müssen sich gelegentlich Prüfungen unterziehen. Schließlich will der angehende Künstler ja vom jahrhundertelang gewachsenen Wissen der alten Meister profitieren und durch diese Unterwerfung unter das Gestrige nachweisen, dass er sein Gewerbe auf vernünftiger Basis betreibt.

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Ziemlich langweilig, nicht? Klar, deswegen leistete sich Dali auch einen einem Kreativen angemessenen Abgang: vor der Abschlusskommission seiner Ausbildung boykottierte er die Prüfung mit der Bemerkung, dass gewöhnliche Sterbliche ihn gar nicht beurteilen könnten. Er wollte seine Maßstäbe ausschließlich selber setzen.

Und er hatte recht! Er als unkonventioneller Traumtänzer wäre zu leicht mit AABA konfrontiert worden, einer Waffe, die sich Kreativen entgegenstellt wie Luftminen im Videospiel.

Was ist AABA? Keine schwedische Popgruppe, schon eher die Grundform der meisten Jazzstandards: zweimal der Grund-Groove, dann ein kleiner Ausflug in neue Welten, um im Schluss-A wieder in vertraute Gefilde zurückzukommen. Eine strikte Form, um die Welt des Unbekannten zu erobern.

Das A im AABA der Kreativität  ist das Altvertraute: das geltende Paradigma, die geltende Meinung, was gerade als “gesunder Menschenverstand” gilt. Und eben auch die Formulierungen und Glaubenssätze, die Kreative jahrelang zu hören bekommen. Deshalb Double-A. AA. Für die Tausende von Malen, die Standardformulierungen durch die Ohrmuschel dringen. Und nach Jahren steht ein Change-Maker auf  und sagt . . . .: “B”. Die neue Spielregel, der zündende Satz nach der Bisoziation, der Glaubenssatz nach dem Zerbrechen der Mauer.

Die Chancen stehen gut, dass dem Change-Maker  bloßes Unverständnis entgegenschlagen wird. Da also davon ausgegangen wird, dass dieser “Unwissende” nur nicht verstanden hat, worum es sich dreht (obwohl der Kreative sich dies schließlich schon einige Jahre anhört), wird ihm mit großem Enthusiasmus folgendes vorgehalten: “A”.

Nicht jeder hat wie der erste Überwinder der Schallmauer ein Fanal wie den Überschallknall zur Verfügung, der etablierte Denksysteme sekundenschnell in den Köpfen aller Menschen kippt. Daher steht der gewöhnliche Change-Maker im Alltag vor dem Problem, dass sein Gegenüber ihn nicht verstehen kann. Ein neuer Glaubenssatz („Ich kann Autos für die Massen bauen“ von Henry Ford) ist eben nicht nur dieser Satz sondern ein neuer Kontext (z.B. breiter Wohlstand), ein neuer Erklärungsrahmen (wie Massenproduktion), manchmal ein neues Paradigma und neue Welten. Ein einziger neuer Glaubenssatz erfordert möglicherweise eine neue Gesellschaft  (welchen Sinn macht ein Auto in einer Gesellschaft, die keine Mobilität besitzt?).

Bis dahin hat der Change-Maker allerdings einiges an Frustration zu durchlaufen. Seine Zuhörer, zum ersten Mal mit der neuen Formulierung konfrontiert, vergleichen den Satz mit dem bekannten Erklärungsrahmen, der konventionellen Logik, dem was sie für Praxis halten. Und in diesem Bezugssystem ist der neue Satz schlicht falsch. Also erklären sie dem Unwissenden die „Wahrheit“. AABA! Und daher verweigerte Dali die Prüfung. Er wollte das “A” auf sein “B” nicht mehr hören. Ein Change-Maker gestaltet die Zukunft lieber so, dass seine neue Spielregel Teil des zukünftigen Spieles ist.