Gräbt Big Data historische Ökonomen aus?

Im 19. Jahrhundert versuchte sich die Historische Schule der Nationalökonomie an einem Sonderweg, an einer Alternative zur englisch geprägten “Klassik”. Und gingen damit sang- und klanglos unter. Wilhelm Roscher, Bruno Hildebrand und Karl Knies waren der Meinung, dass es in der Volkswirtschaft nicht einige schöne und klare Formeln gibt, die immer und überall funktionieren. Sondern dass es darauf ankommt, in welcher Kultur und in welcher Situation man das betrachtet. Was an einer Stelle stimmt, kann an anderer Stelle falsch sein. Also schauten sie sich das im Detail an, in einzelnen Kulturen, zu unterschiedlichen Epochen, und sammelten so eine Unmenge an Einzelerkenntnissen.

Nur: Die schicken, eindeutigen Formeln von David Ricardo bis Alfred Marshall waren viel leichter zu vermarkten. Schnörkellose Theorien, mit universellem Anspruch, die überall galten. Und so ist die Volkswirtschaftslehre heute die der angelsächsischem Klassik, zuzüglich einiger in neuerer Zeit hinzugefügter schicker Formeln. Kritiker wie der Wirtschaftshistoriker Henry Spiegel zerreißen die Historische Schule in der Luft und meinen, mit dieser ganzen Sammlung von Einzelfällen könne man überhaupt keine Maßnahmen planen und außerdem läge dieser Sonderweg nur daran, dass die Deutschen die Aufklärung nicht richtig mitgemacht hätten.

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Aber mit dem Einzug von Big Data Ansätzen könnten Ideen vergleichbar denen der historischen Ökonomen eine ungeahnte Renaissance erleben. Und wir könnten vergleichbare Wechsel in der Vorgehensweise auch in anderen Feldern erleben.

Doch wieso waren die historischen Ökonomen eigentlich eine Sackgasse? Der Kernvorwurf an Ansätze wie dem der Historischen Schule ist, dass ihre Erkenntnisse nur “anekdotischen Charakter” hätten, sie würden eben Stories und Daten zu Einzelfällen sammeln, aber das würde wissenschaftlich nichts aussagen. Eine wissenschaftliche Aussage muss überall zum selben Ergebnis kommen, sonst stimmt eben die Aussage nicht. Und so kommt man dann zu einer eindeutigen, schönen Formel, die überall gilt. Und das lässt sich leichter lehren, Politikern und anderen Entscheidern an die Hand geben. Und wenn irgendwas nicht funktioniert … nun, dann hat jemand eben die Formel noch nicht verstanden. Und was man nicht auf diese Weise verkaufen kann, ist eben eine Sackgasse.

Nur steckt dahinter auch ein Problem der Komplexitätsreduktion. Wenn die Erkenntnis auf Hunderttausenden von Einzelfällen beruht, die jedes Mal einzigartig sind, und ich als Entscheider will jetzt wissen, was ich in einer volkswirtschaftlichen Frage tun soll, wie soll ich mich in diesem ganzen Wust zurecht finden? Woher soll ich wissen was passt? Da habe ich doch lieber eine klare Ansage mit einer überall anerkannten Formel.

Und hier kommen jetzt die Big Data Ansätze und ihre Vettern aus dem Bereich „Social“ ins Spiel. Die brillieren nämlich gerade darin, Unmengen an Daten, Ereignissen, „Anekdoten“ etc. verarbeiten zu können und in Sekundenschnelle die Passung von Mustern zu überprüfen. Je ausgefeilter die Analysemethoden werden, je besser das mit Dingen wie Recommendation verknüpft wird, desto eher kann ich mit der Summe an Einzelfällen mehr anfangen als mit der zwangsgleichgeschalteten Einheitlichkeit einer Standarderkenntnis. Das heißt: würde man jahrzehntelange Sammlungen von Anekdoten einer Historischen Schule in ein passend aufgebautes Big Data System stecken, könnte das mir potentiell sagen, welche Muster mit denen ich gerade konfrontiert bin, an anderen Stellen dieser Welt schon einmal aufgetreten ist. Und welche Lösung funktioniert hat und welche eben nicht. Und dieser Lösungsansatz wäre dann sicherlich treffgenauer als das, was die Standardtheorie auswirft.

Wir sehen den selben Zusammenhang auch in anderen Feldern, wie z.B. der Medizin. Auch da wird manchen Heilungsmethoden immer wieder vorgeworfen, dass ihre Erfolge „anekdotischer“ Natur wären, sprich sie funktionieren manchmal erstaunlich gut und in anderen Fällen gar nicht. Im Schnitt dann gar nicht. Aber was interessiert mich der Schnitt, wenn ich derjenige bin, bei dem es funktioniert? Und so versucht man auch dort mit bewährten Standardverfahren orientiert an einem Durchschnittsmenschen zu arbeiten. Einfach weil der Grad an Verschiedenheit für das medizinische System bisher nicht zu verarbeiten war. Bisher. Denn der Weg zur individualisierten Medizin beginnt damit, den Einzelfall als wertvoll zu erkennen. Das eben die Summe der Erkenntnisse aller Einzelfälle einen Schatz birgt und nicht dasselbe ist wie der Schnitt aller Einzelfälle.

Ist die Zeit irgendwann reif?

Sicherlich haben Sie auch schon einmal die Formulierung gehört, „die Zeit sei reif für eine Idee gewesen“. Klingt ja auch eingängig. Zu eingängig. Denn dieser Spruch sagt einiges darüber aus, was wir glauben, wie Innovation stattfindet. Voraussagbar nämlich. Und brav logisch aufeinanderfolgend. Wir glauben, dass das auch in Zukunft so weitergeht. Was wiederum unsere Zukunftssichten stark beeinflusst. Was schade ist, denn die Formulierung ist überwiegend Unsinn.

Zur Erklärung ein Bildchen:

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Eine Kugel liegt schön stabil unten in einer Schale. Schubst man sie ein bisschen, rollt sie ein wenig hin und her, um dann genau am vorherigen Ort wieder zur Ruhe zu kommen. Jetzt stellen wir uns vor, diese gelbe Kugel wäre eine Idee, eine Lösung, eine Methode, ein Ansatz in einer Umwelt. Ideen und Innovation sind überwiegend Lösungen für aktuelle Probleme der Umwelt. Auf was auch immer für einer Ebene. In unserem Bild funktioniert die Idee, die Lösung. Selbst wenn es in der Umwelt zu kleinen Erschütterungen kommt, die Lösung ist stabil.

Jetzt passiert etwas Fundamentales in der Umwelt, sei es in einer Gesellschaft, in einem Markt oder in der Natur. Plötzlich ist die Lösung die bisher so Klasse funktionierte gar nicht mehr so passend. Die Situation stellt sich eher dar wie im nächsten Bildchen:

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Die Lösung ist höchst instabil. Ein kleiner Schubs würde reichen und die gelbe Kugel würde haltlos ins Rollen kommen. D.h. die Lösung, der bisherige Ansatz funktioniert nicht mehr. Menschen müssen sich etwas Neues einfallen lassen, die Kugel rollt, Innovation tritt auf. Wird eine geniale, passende Lösung gefunden, wandelt sich das Bild wieder zu dem oben. Die neue Problemlösung schafft ein neues Gleichgewicht.

Und jetzt kommt das Entscheidende: in der Krise, wenn Lösungen nicht mehr funktionieren, benötigt die Kugel nur einen winzigen Schubs, um ins Rollen zu kommen. Und in welche Richtung dieser vielleicht völlig zufällige Schubs erfolgt, bestimmt, wo entlang die Kugel rollt. Es gibt Million von möglichen Wegen, aber sie wird nur in eine Richtung tatsächlich rollen. Und deshalb werden unzählige andere Möglichkeiten nicht realisiert, nur eine neue stabile Position wird erreicht und nicht alle anderen, die ebenfalls hätten eintreten können.

Das ergibt in vielen lebendigen Systemen das Prinzip der Pfadabhängigkeit. Weil einmal ein bestimmter Pfad eingeschlagen wurde, finden wir heute eine bestimmte Struktur. Nicht weil die so notwendigerweise sein müsste. Sie ist so entstanden und passte, stellte eine Lösung dar. Deswegen ist es so schwierig, manche Ökosysteme wieder zu rekonstruieren, weil an jedem Schritt der Entwicklung dieselben Pfade genommen werden müssten, wie sie „historisch“ eingetreten sind. Aber an mancher Stelle rollt in einer neuen Situation die Kugel eben diesmal in eine andere Richtung. Neue Wege, neue Möglichkeiten entstehen.

Zurück zu unserem Spruch, die Zeit sei reif für eine Idee gewesen. Das suggeriert, dass genau diese Idee, diese Lösung irgendwann das Licht der Welt erblicken musste. Hätte nicht diese Person sie gefunden, wäre es ein anderer gewesen. Da steckt ein Hauch von Schicksal drin, von folgerichtiger Entwicklung. Und das ist eben in der Regel falsch. Denn es hätte oft auch ganz anders verlaufen können. Womit auch die Zukunft eine ganz andere sein könnte.

Das Gebrüder-Wright-Prinzip

Muss man erst einmal bevor wenn man die Welt verändern will etwas ganz anderes machen?

Die Gebrüder Wright stehen am Anfang der Luftfahrt. Und das nicht nur wegen des ersten Fluges eines Schwerer-als-Luft-Flugzeuges. Fast noch wichtiger war es, dass sie mit der 3-Achsen-Steuerung allen zukünftigen Piloten die Möglichkeit gaben zu bestimmen, wo sie hinfliegen wollten.

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Aber sie begannen ihren Weg nicht mit dem Flugzeug, denn wer hätte schon über Jahre von etwas leben können, was es noch gar nicht gab? Schlimmer noch: was es in der Vorstellung der meisten Leute überhaupt nicht gab!

Die Gebrüder Wright besaßen eine Fahrradfabrik, die aus einer Reparaturwerkstatt für Fahrräder entstanden war. Etwas wortwörtlich Bodenständiges. Diese Fabrik begründeten sie inmitten eines Fahrradbooms in den USA, mit sicheren Absatzmärkten. Eine Fahrradfabrik zu betreiben bedeutet hier, einen Zeitpunkt der S-Kurve nutzen, zu dem das entsprechende Produkt schon fest etabliert ist, statt sich den Stress zu machen, ganz am Anfang des langen Anlaufs der S-Kurve etwas Neues zu tun. Mit dem Effekt, dass die Gebrüder dadurch permanent Geld generierten, mit dem sie das betreiben konnten, was sie eigentlich unternehmen wollten, was aber zu diesem Zeitpunkt völlig aberwitzig war, im ökonomischen Kontext der Zeit „sinnfrei“.

Das ist das „Gebrüder-Wright-Prinzip“: mit etwas Etabliertem Geld verdienen, um in der übrigen Zeit von jeglicher Kritik und Verantwortung frei zu tun, was man für richtig hält. Selbst wenn das sonst keiner tut.

Klar mag man sich jetzt vorstellen, dass Fahrräder und Flugzeuge etwas miteinander zu tun haben, die Gebiete sind also doch nicht völlig unabhängig. Es sind schließlich beides mechanische Tätigkeiten. Aber es dreht sich um die Spielregeln, nach denen man arbeitet. Fahrräder waren eben angesagt und deshalb konnte man damit Geld verdienen. Flugzeuge hingegen waren der nächste Schritt in der Menschheitsentwicklung, ein Bruch mit den Spielregeln. Sie waren, was der russische Kosmist Nikolai Fjodorow  die „Umorientierung von horizontal zu vertikal“ nannte: von Kanonen zu Mondraketen, von Fahrrädern zu Flugzeugen.

Das Gebrüder-Wright-Prinzip passt zu Investmenttipps, die dynamische Systeme betrachten: Play safe für die Basisstruktur, mit etwas Langweiligem, was sicher Geld generiert. Und mit einem kleinen Anteil durchknallen. Aber dann völlig. Auf die fundamentalen, explosiven Durchbrüche setzen. Die eine Seite finanziert die andere. Und die andere Seite hebt das System in die Vertikale.

Mit diesem Hintergrund können wir auch erkennen, welche Dinge tiefgreifende Innovation behindern wie z.B.:

  • Regeln, dass jedes Projekt aus sich heraus rentabel sein muss. Und zwar direkt.
  • Steuervorschriften, bei denen man Verluste aus einer Aktivität nicht mit einer anderen gegenrechnen kann.
  • Unternehmen, bei denen zu schlanke Strukturen bewirken, dass es keine Schutzzonen für neue Vorstellungen gibt.

In so einem Umfeld bleibt einem nichts übrig, als wie die Gebrüder Wright das Unternehmen selbst zu gründen.  Und es ist erneut eine Steilflanke für die Dilettanten, die DIYer, die Amateure, die ausschließlich nach ihren eigenen Vorstellungen in ihren Freiräumen etwas beginnen, was in einem normalen ökonomischen Kontext nicht tragbar wäre. Und deshalb im Moment die Welt von Open Source und 3D-Druck mit Ansätzen füllen, die bisher unvorstellbar waren. Dilettanten,  die etwas tun können, was im alten System „sinnfrei“ ist.

Vielleicht müssen sie aber vorher das Äquivalent einer Fahrradfabrik gründen …

Weiße und schwarze Listen

Vermeintlich kleiner Unterschied, große Wirkung. Viel wird in Unternehmen, Organisationen und der Politik mit „weißen“ und „schwarzen Listen“ gearbeitet. Wir kennen sie alle, wobei „schwarze Listen“ aus den verschiedensten Hintergründen heraus eine negative Konnotation haben. „Whitelist“ klingt besser, nicht nur weil in den klassischen Hollywood-Filmen die „Guten“ immer die weißen Hüte aufhaben. Weiße Liste klingt nach Empfehlung, nach Bewährtem und damit eben rundherum positiv.

Trotzdem liegt in ihnen eine Gefahr für Innovationen und Kreativität verborgen und damit für die Möglichkeiten einer offenen Zukunft. Eine schwarze Liste verzeichnet, was definitiv verboten ist. Im Umkehrschluss: Alles andere ist erlaubt! Eine weiße Liste schreibt im Extremfall vor, was genau erlaubt ist. Und das bedeutet im Umkehrschluss: Alles andere ist verboten!

Hinter einer weißen Liste steckt oft ein Expertengremium, ein Planerstab oder Führungskräfte, die der Meinung sind zu wissen, was in welcher Situation „das Richtige“ ist. Und das Richtige steht auf der Weißen Liste, die als Anweisung oder im milderen Fall als Empfehlung herausgegeben wird. Und bestimmt damit Handlungen, das Zuweisen von Ressourcen etc.

Wenn wir aber wissen, dass die interessanten Lösungen oft abseits der ausgetretenen Pfade liegen, und die bahnbrechenden neuen Entwicklungen der Zukunft meistens überraschend und unvorhersehbar auftreten, ist das bedenklich. Kreative Ansätze entstehen, wenn gerade ein bisher unverbundenes, fach- oder branchenfremdes Element hinzugefügt wird, weshalb es oft auch Quereinsteiger sind, die Bewegung in Dinge bringen. Solche Ansätze können per se nicht auf einer weißen Liste der bewährten Empfehlungen stehen. Und wenn diese anderen Ansätze durch die „Weißlistung“ eingeschränkt oder sogar verboten werden, be- oder verhindert das Innovation. Alternativen werden nicht getestet, die uns weiterbringen würden.

Jetzt könnten Sie meinen, dass das etwas übertrieben ist, schließlich stellen viele weiße Listen tatsächlich nur wohlmeinende Empfehlungen dar. Stimmt, aber wir sollten darauf trainiert sein zu sehen, wann wohlmeinende in verbindliche Empfehlungen umkippen. Also achten Sie einmal darauf, welche weißen Listen bei näherer Betrachtung bedeuten, dass Sie nur noch tun dürfen, was da drauf steht.

Manchmal ist also eine schwarze Liste besser, die für alles andere die Freiheit garantiert.

Citizen Science

Wie kann es sein, dass ein Forschungsprojekt im Bereich der Mikrobiologie und Medizin 150 Millionen Dollar kostet und dabei während einiger Jahre nur rund 250 Menschen untersucht, ein anderes hingegen in nur einigen Wochen mehr Menschen beteiligt und jeder weniger als 100 Euro zahlt? Die Antwort ist Citizen Science, die Anwendung der Social-Network-Idee auf die Wissenschaft. Und damit ein Trend, der viel bewegen kann.

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(Bildquelle: Scistarter.org)

Das zitierte Projekt ist uBiome, bei dem die Zusammensetzung der Mikroben bestimmt wird, die im und am menschlichen Körper leben. Diese sind interessant, weil nur ein Zehntel der Zellen, die unseren Körper ausmachen, eigene Körperzellen sind, der Rest sind z.B. Bakterien. Der Mensch ist selbst so eine Art Social Network, ein kollaboratives Wesen. Und da wir so langsam verstehen, dass das sogenannte Mikrobiom mitbestimmt, ob wir auf Diäten reagieren oder ob Medikamente bei uns wirken, ist es ein relevantes Forschungsgebiet. uBiome kombiniert jetzt Crowdfunding mit Citizen Science. Teilnehmer/ Sponsoren finanzieren das Projekt über eine Crowdfunding-Plattform und bekommen für das Geld einen Set zum Probennehmen. So hat das Team von uBiome die Finanzierung und die Testpersonen mit Proben, und jeder Teilnehmer eine Analyse seines persönlichen Mikrobioms, eingebunden in ein Netzwerk das ständig neue Auswertungsergebnisse präsentiert.

Dies ist ein typisches Beispiel für „Bürgerwissenschaft“, bei der ganz normale Menschen die Projekte finanzieren, in Umsetzung und Ergebnisse direkt eingebunden sind, im Gegensatz zu klassischer Forschung großer Institute und staatlicher Stellen. Und man sieht eine Menge der Vorteile:

  • Über die Crowdfunding-Finanzierung können die Menschen selbst bestimmen, was sie interessiert, wofür sie ihr Geld ausgeben wollen.
  • Messung und Proben werden durch die Teilnehmer selbst durchgeführt, denn sie interessieren sich mehr als jeder sonst für ihr lokales Umfeld und Sachen wie ihren eigenen Körper. Außerdem sorgt das für große Mengen an Proben und die auch noch vielfältig über die Welt verteilt.
  • Die spannenden wissenschaftlichen Fragen werden selbst durch die Teilnehmer ge- und erfunden, schließlich wissen sie, welche Probleme sie gerne gelöst hätten.
  • Die Ergebnisse werden direkt kommuniziert und genutzt. Denn bei Citizen Science sind die normalen Menschen direkt eingebunden, können Fragen stellen, bekommen ihre Daten und die Erkenntnisse aus allen Daten. Sie sind hautnah dabei.

Wie wäre es, wenn die Forschung zu vielen unserer großen Fragen direkt in den Händen der Bürger läge? Mit dem enormen Hebel, den die „Crowd“ bei Finanzierung, Input und Verbreitung hat?

Mehr dazu im Interview mit Jessica Richman bei Das Abenteuer Zukunft!

Außerdem wurde ich Country Ambassador Deutschland für uBiome und habe zu meinen Erlebnissen dabei einen eigenen Blog eröffnet: Mein Mikrobiom und ich 🙂

 

Die Race-with-Machines-Strategie

Wer ist der beste Schachspieler der Welt? Diese Frage stellt Andrew McAffee, der den Begriff Enterprise 2.0 prägte, in seinem faszinierenden neuen Buch „Race against the machine“. Und spielt damit auf die langjährige Rivalität zwischen Schachgroßmeistern und Computern an. Die Antwort ist aber nicht das eine oder das andere, sondern: ein Team aus Menschen und Computern. Und darin steckt eine aufregende Vision für unsere Zukunft. Fragen sich Menschen, ob wir oder die Roboter gewinnen werden, sollte die Antwort sein: Beide!

Und es sind nicht Teams aus den besten Playern mit den besten Computern. Nein, ein mittelmäßiger Spieler mit einem mittelmäßigen Computer aber beide verknüpft durch einen besseren Prozess schlagen die Top-Maschinen und -Player, wenn diese alleine antreten oder schlecht zusammenarbeiten.

Was diese Zukunftsvision jetzt nicht bedeutet, ist die behäbige Auffassung, dass schon alles gut geht und Dinge wie Robotik oder Digitalisierung keine Konkurrenz zum Menschen sind. Denn das sind sie, wie McAffee in seinen Anfangskapitel unmissverständlich klarmacht. Über diese  bequeme aber irrige Haltung habe ich schon in meinem Beitrag „Drei Säulen“geschrieben: Wenn z.B. im Verkauf behauptet wird, dass „nichts den menschlichen Kontakt im Verkauf ersetzen kann“, dass es „etwas ganz anderes ist, über Internet zu kaufen, die menschliche Beratung sei einfach intensiver und besser, online kaufen hat nur etwas mit dem Preis zu tun“. Das verkennt das Problem, nämlich dass sehr bald die Online-Beratung haushoch besser sein wird als die einzelne Beratung eines Menschen. Ebenso wie im direkten Duell zwischen Großmeister und Computer beim Schach eindeutig der Computer gewinnt.

Aber noch besser ist eben die Kombination. Und das heißt für uns im unternehmerischen Alltag: Beide Seiten in höchster Vollendendung beherrschen: Soft Factors und Digitale Revolution. Und dann genau herausarbeiten, an welchen Punkten sich beide gegenseitig hebeln können, wie man mit der Kombination aus Mensch und Maschine die bisherigen Spielregeln meines Marktes völlig ändern kann. Denn Untersuchungen zeigen: die erfolgreichsten und produktivsten Unternehmen setzen nicht nur z.B. die neuste IT ein, sondern ändern Führungs-, Kommunikations- und Entscheidungsverhalten, ja ihre gesamte Organisation so, dass Technologie ideal genutzt wird. Sie würden eben im Moment nicht einfach „Social Media“ einführen, sondern ihr Unternehmen umbauen, um Web 2.0-Tools ideal einzusetzen. Und diese organisatorische Innovation ist mit einem enormen Hebel möglich. Denn digitale Technologie macht es auch möglich, nicht nur Bits, sondern auch die neu erfundenen Prozesse schnell weltweit zu kopieren.

McAffee’s  Empfehlungen münden in der „Race with machines Strategie“: die Rate und Qualität der organisatorischen Innovation verbessern und die Skills der Mitarbeiter erweitern, mit den Tools der digitalen Welt besser umzugehen.

AABA (Teil 2)

Kreative sind nicht zum Jammern da, sondern um neuartige Lösungen zu finden. Was also tun, wenn man mit AABA konfrontiert wird?

Tragisch ist, dass es in der Regel an der “Formulierung” liegt. Neue Ideen, wenn auch nichtsprachlich gewonnen, müssen formuliert werden, um für andere zugänglich zu werden. Und diese Formulierung ist oft die sprachliche Struktur der alten Lösung. Insbesondere die neue Sinnstruktur ist oft sprachlich nicht fassbar, ein neues “Zeitgefühl” nur „online“ erlebbar, jegliche Formulierung ist schon ein müder Abklatsch. Versucht der Change-Maker die sprachliche Vermittlung, verstrickt er sich sofort in der Struktur des Gestern.

Kein Wunder, dass sich viele Kreative seit Henry Miller über die Beatnicks bis hin zu Steve Jobs vom Zen-Buddhismus angezogen fühlten. Dessen schräge Dialoge wie “Was ist der Klang einer klatschenden Hand?” sind durch logische Ableitung nicht zu ergründen. Sie beruhen auf der Erkenntnis: wer vom Wort gefangengenommen wird, verliert den Sinn.  In der Verwirrung aber kann dem Lernenden nach einiger Zeit der sinnlichen Auseinandersetzung mit diesem Paradoxon klar werden, dass die Antwort auf “einer anderen Ebene” liegt. Steve Jobs war davon fasziniert, dass Zen Intuition und Spontaneität über das intellektuelle Verstehen stellte. Seine Methode, unerwartete Kommentare abzugeben, um die geistige Schärfe der Leute zu testen und sie aus dem Gleichgewicht zu bringen, wurde dann auch “Zen-verrückter” Führungsstil getauft.

Alltagstauglicher ist da schon die Methode, das Neue in kleine Häppchen zu zerlegen,Chunking genannt. Damit ergibt sich aber ein Problem: der Change-Maker argumentiert dabei immer noch im Koordinatensystem des Alten. Nehmen wir als Beispiel für verfehlte diplomatische Bemühungen die traurige Geschichte eines Mannes vor einigen hundert Jahren, der auszog, den Menschen eine schöne runde Welt mittels Chunking zu erläutern:

“Seht” sprach er zu einer Gruppe von Wissenschaftlern, die der offensichtlichen Tatsache anhingen, die Erde sei flach, “ihr könnt euch sicher eine schöne flache Erde vorstellen (allgemeines Nicken). Und darüber noch eine flache Erde, mit eine bisschen weniger Durchmesser (immer noch allgemeines Nicken). Dies wiederholt Ihr jetzt mehrmals, immer mit ein bisschen weniger Durchmesser. Oberhalb der flachen Erde und dasselbe unterhalb. Wenn Ihr euch nun von außen diesen Stapel an Scheiben anschaut, sieht der nicht einer Kugel verblüffend ähnlich?”. Die Folge war allgemeines verneinendes Kopfschütteln.

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Was hat der diplomatische Change-Maker falschgemacht? Er spielte nach den Spielregeln der Anderen und erklärte seine neue Sicht der Welt in einem Kontext, in dem sie einfach falsch war!  Falls der Zuhörer den Quantensprung nicht in seinem Gehirn mit vollzieht, ist es völlig unmöglich, den Change-Maker zu verstehen.

Es bleibt das Primat des Handelns. Prototyping, um das Neue sinnlich erfahrbar zu machen und sonst: Einfach das Neue leben, bauen, nutzen! Plötzlich abstrakte Kunst malen, eine Tonleiter aus zwölf Tönen statt acht nutzen, die bisher geraden Räume des Universums krummbiegen, den Menschen ein iPhone in die Hand drücken oder was wollten Sie als B in die Welt bringen?

AABA (Teil 1)

Auch „Genies“ wie Salvador Dali müssen sich gelegentlich Prüfungen unterziehen. Schließlich will der angehende Künstler ja vom jahrhundertelang gewachsenen Wissen der alten Meister profitieren und durch diese Unterwerfung unter das Gestrige nachweisen, dass er sein Gewerbe auf vernünftiger Basis betreibt.

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Ziemlich langweilig, nicht? Klar, deswegen leistete sich Dali auch einen einem Kreativen angemessenen Abgang: vor der Abschlusskommission seiner Ausbildung boykottierte er die Prüfung mit der Bemerkung, dass gewöhnliche Sterbliche ihn gar nicht beurteilen könnten. Er wollte seine Maßstäbe ausschließlich selber setzen.

Und er hatte recht! Er als unkonventioneller Traumtänzer wäre zu leicht mit AABA konfrontiert worden, einer Waffe, die sich Kreativen entgegenstellt wie Luftminen im Videospiel.

Was ist AABA? Keine schwedische Popgruppe, schon eher die Grundform der meisten Jazzstandards: zweimal der Grund-Groove, dann ein kleiner Ausflug in neue Welten, um im Schluss-A wieder in vertraute Gefilde zurückzukommen. Eine strikte Form, um die Welt des Unbekannten zu erobern.

Das A im AABA der Kreativität  ist das Altvertraute: das geltende Paradigma, die geltende Meinung, was gerade als “gesunder Menschenverstand” gilt. Und eben auch die Formulierungen und Glaubenssätze, die Kreative jahrelang zu hören bekommen. Deshalb Double-A. AA. Für die Tausende von Malen, die Standardformulierungen durch die Ohrmuschel dringen. Und nach Jahren steht ein Change-Maker auf  und sagt . . . .: “B”. Die neue Spielregel, der zündende Satz nach der Bisoziation, der Glaubenssatz nach dem Zerbrechen der Mauer.

Die Chancen stehen gut, dass dem Change-Maker  bloßes Unverständnis entgegenschlagen wird. Da also davon ausgegangen wird, dass dieser “Unwissende” nur nicht verstanden hat, worum es sich dreht (obwohl der Kreative sich dies schließlich schon einige Jahre anhört), wird ihm mit großem Enthusiasmus folgendes vorgehalten: “A”.

Nicht jeder hat wie der erste Überwinder der Schallmauer ein Fanal wie den Überschallknall zur Verfügung, der etablierte Denksysteme sekundenschnell in den Köpfen aller Menschen kippt. Daher steht der gewöhnliche Change-Maker im Alltag vor dem Problem, dass sein Gegenüber ihn nicht verstehen kann. Ein neuer Glaubenssatz („Ich kann Autos für die Massen bauen“ von Henry Ford) ist eben nicht nur dieser Satz sondern ein neuer Kontext (z.B. breiter Wohlstand), ein neuer Erklärungsrahmen (wie Massenproduktion), manchmal ein neues Paradigma und neue Welten. Ein einziger neuer Glaubenssatz erfordert möglicherweise eine neue Gesellschaft  (welchen Sinn macht ein Auto in einer Gesellschaft, die keine Mobilität besitzt?).

Bis dahin hat der Change-Maker allerdings einiges an Frustration zu durchlaufen. Seine Zuhörer, zum ersten Mal mit der neuen Formulierung konfrontiert, vergleichen den Satz mit dem bekannten Erklärungsrahmen, der konventionellen Logik, dem was sie für Praxis halten. Und in diesem Bezugssystem ist der neue Satz schlicht falsch. Also erklären sie dem Unwissenden die „Wahrheit“. AABA! Und daher verweigerte Dali die Prüfung. Er wollte das “A” auf sein “B” nicht mehr hören. Ein Change-Maker gestaltet die Zukunft lieber so, dass seine neue Spielregel Teil des zukünftigen Spieles ist.

Was haben Aquarien mit Web 2.0 zu tun?

Vor einigen Wochen traf ich bei einer für Web 2.0 völlig fachfremden Lektüre auf eine gute Metapher für meine Ideen zu Web 2.0. Günther Sterba war ein deutscher Ichthyologe, also ein Fischforscher, seine Aquarienbücher aus den 50er Jahren waren Kultbücher vieler Jugendlicher, die sich noch mit analogen Sachen beschäftigten, wie eben auch ich. Als ich jetzt wieder darin herum las, fand ich Erstaunliches.

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Er schrieb 1955 (in meinen Worten), dass all die Hobbyaquarianer unabdingbar für die professionelle Forschung wären. Denn man könne nicht einfach z.B. das Fortpflanzungsverhalten eines bestimmten Fisches zentral einmal untersuchen und wüsste dann Bescheid. Das hängt von so vielen Faktoren ab, bekannten wie der Wassertemperatur, aber eben auch welchen, die man gar nicht auf dem Radar hat. Und daher funktioniert dann das Züchten bei vielen Leuten nicht, die sich eigentlich an alles gehalten haben, was Experten so erforscht haben. Weil sie eben an einem anderen Standort sind, in einer anderen Situation und andere Einflüsse herrschen. Und kleine Unterschiede haben große Wirkung.

Also daher die Lösung, dass Hundertausende von begeisterten Hobbyaquarianern das jeweils zuhause ausprobieren und sich austauschen. Und dadurch automatisch durch die Verschiedenheit der lokalen Gegebenheiten unzählige Faktoren einbeziehen, austesten, kommunizieren, erkennen. Eine Forschungsleistung, die einzelne Institute weder bezahlen könnten, noch das Personal hätten aber vor allem nicht unter so zahlreichen spontane Bedingungen durchführen könnten. Der ungewöhnliche, stark verteilte, ortsgebundene Mix macht’s. Und dieser Austausch funktionierte damals noch mit . . . Schreck . . . Briefen!

In diesem Beispiel ist alles drin, was für mich die Web 2.0-Idee treibt: viele begeisterte Individualisten einbinden, die auf heterogene Weise für ihre jeweiligen Situationen experimentieren und durch intensive Vernetzung das Wissen und die Fähigkeiten aller vermehren. Und genauso sollten wir dann eben Projekte aufsetzen bei Enterprise 2.0, Innovation und Zukunft. Viele Blickwinkel, Verschiedenheit, Individualität, Heterogenität, bottom-up statt wissender Elite. Deshalb lieber ein Scenario-Projekt mit vielen „normalen“ Menschen als Delphi-Panels mit wenigen Experten, lieber Prediction Markets als operative Planung. Und wenn wir mit dieser Metapher im Kopf einmal über das Gesundheitswesen oder Unternehmensführung nachdenken?

Das Herz kreativer Strukturen

Oft möchten wir wissen, was besonders kreative Strukturen genau ausmacht, woher die zaubergleiche Wirkung kommt. In der Regel, um das dann nachzumachen.

Der Attraktor-Incubator-Approach (ATICA) hat als Aufgabe, den Kern kreativer Strukturen zu durchdringen, den tieferen Aufbau kreativer Unternehmen, Städte oder Regionen, der Hotspots, der magischen Plätze.

Die Annahme ist, dass jede zutiefst kreative Struktur eine innige Verbindung aus einemInkubator und einem Attraktor ist, einer Kombination, die in Abgrenzung zum Alltäglichen die wirklich neuen Lösungen findet und darauf aufbauend für schnelle explosionsförmige Verbreitung sorgt. Zusammen stehen sie für echten Wandel, statt inkrementeller Verbesserungen oder „Basteln am Symptom“.

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Denn eine Idee ohne Anwendung und Verbreitung ist so, als wäre sie nie gedacht worden, ebenso wie eine schnelle Verbreitung ohne eine radikale neue Idee, die wirklich Lösungen verspricht, eine Modewelle oder eine große Show ist, aber nicht mehr. Echte Kreativität geht zum Kern. Sie löst offene Fragen und drängende Probleme auf eine nie dagewesene Weise.

Der Inkubator ist dabei ein Ort, an dem Verschiedenheit aufeinanderprallt, an ein Team aus konfliktfähigen Individuen große Fragen der Menschen gestellt werden. Mit einer ganz eigenen „Mission“, abgeschlossen vom aktuell angesagten Lösungskatalog, entwickeln die Teilnehmer am Inkubator the „next big thing“.

Der Attraktor kommuniziert die Lösungen nach außen, bringt Menschen dazu sie zu nutzen, mit ihnen zu arbeiten, Teil zu haben. Er zieht Talent in den Bannkreis der neuen Ansätze, bündelt Feedback und spielt die verbesserten Lösungen wieder zurück.

Die Performance einer kreativen Struktur wie eines Unternehmens und einer Region ist dann am höchsten, wenn es das Wechselspiel von Inkubator oder Inkubatoren mit einem Attraktor zu einem permanenten Sich-Neu-Erfinden gestaltet.

Eine Übersicht zu ATICA gibt es in diesem Einführungsartikel:

http://www.vreedom.com/material/TAF_2011-12-30_ATICA-Artikel_d.pdf